Das RP-Klimahaus Wenn der Klimaschutz Urlaub macht

Analyse | Düsseldorf · Wälder sind zu trocken, Gletscher schmelzen, zahlreiche Tiere sind vom Aussterben bedroht. Viele behaupten deshalb, sie wollen unseren Lebensraum schützen – und fliegen trotzdem in den Urlaub. Das zeigen Zahlen am Flughafen Düsseldorf. Was an diesem Verhalten problematisch ist und wie es erklärt werden kann.

 Wer fliegt, ist schneller im Urlaub. Doch das hat Konsequenzen für das Klima.

Wer fliegt, ist schneller im Urlaub. Doch das hat Konsequenzen für das Klima.

Foto: dpa-tmn/Federico Gambarini

Beim Fliegen ist nach der Pandemie vor der Pandemie. Denn wenn der Klimaschutz persönliche Opfer erfordert, verhalten sich viele Menschen nicht so, wie sie es gern von sich behaupten. Und nachdem die Start- und Landebahnen durch Corona zum Erliegen kamen, ziehen die Zahlen der Reisenden wieder an. Das zeigen auch unsere Auswertungen der Flugbewegungen am Flughafen Düsseldorf.

Die Entwicklung in Zahlen – bis Frühjahr 2021

2010 flogen über das Drehkreuz Düsseldorf ungefähr 216.000 Flugzeuge. Das zeigen Zahlen, die der Airport zwischen 2010 bis 2020 veröffentlicht hat. Die Start- und Landebewegungen blieben bis zum Beginn der Corona-Pandemie in etwa gleich. Der tiefste Stand war im Jahr 2015 – da flogen immer noch etwa 210.000 Maschinen die Landeshauptstadt an und starteten von dort. Gegen Ende des Jahrzehnts, also kurz vor der Pandemie, erreichten die Werte 2019 einen neuen Höchststand: 226.000 Flugzeuge. Und während im gleichen Jahr die Proteste der Fridays for Future-Bewegung starteten und die Aufmerksamkeit für den Klimawandel deutlich wuchs, stieg die Zahl der Flugbewegungen um mehr als 7000 Maschinen an. In keinem anderen Jahr gab es einen solchen Sprung. Zu diesem Zeitpunkt lag das Verhältnis von Business- und Touristenflügen übrigens bei jeweils etwa 50 Prozent – das dürfte sich durch Videokonferenzen in Corona-Zeiten verändert haben.

Mit Start der Pandemie ging es für das Klima in Düsseldorf am Flughafen gut los: 2020 flogen noch 79.000 Maschinen – etwas weniger als ein Drittel der durchschnittlichen Werte zwischen 2010 und 2019. Obwohl das noch immer zum Ausstoß von reichlich Treibhausgasen führte, spricht der Flughafen selbst von dieser Zeit als „existenzielle Bedrohung.“ So „wenige“ Flüge habe es zuletzt im Jahr 1978 gegeben. Was also wirtschaftlich für den Airport überlebenswichtig ist, bedroht das Klima und unseren Lebensraum existenziell. Weil es immer wärmer wird, schmelzen Gletscher, leiden die Wälder unter Hitzestress und werden durch Borkenkäfer befallen, weil diese sich bei Wärme deutlich besser vermehren.

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Wo sich die Natur entspannt durch weniger Tourismus

In der Touristenstadt Venedig konnten die Einheimischen erleben, wie sich ihre Heimat erholte. Zuvor war der Lagunenort mit mehreren Zehntausend Menschen täglich überladen und durch die Treibhausgase der großen Kreuzfahrtschiffe belastet. Sogar Delfine kamen in die Buchten zurück, was viele Menschen weltweit begeisterte. Andernorts kamen Tiere in die Städte – manche um Nahrung zu suchen, andere weil kaum noch Touristen durch die Straßen liefen. Der Tourismus-Stopp durch die Pandemie löste erzwungenermaßen klima- und naturfreundliches Verhalten aus, das es ohne sie vermutlich nie so gegeben hätte. All das hat allerdings auch seinen Preis – denn die Menschen in Venedig sind von den Einnahmen durch Touristen abhängig. Und seit es pandemiemäßig vielerorts so wirkt, als wäre nichts gewesen, kehren die Reisenden massenhaft zurück. Gute Vorsätze zum Klimaschutz dahingestellt.

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Trotz Klimaschutz im Bewusstsein: Reisen als wäre nichts gewesen

In den Sommermonaten im vergangenen Jahr stieg die Reiselust prompt wieder an – im Juli 2021 um 62 Prozent im Vergleich zum Juli 2020. Es waren knapp 9000 Flüge, das zeigt eine Publikation des gemeinnützigen Vereins Bürger gegen Fluglärm, der sich auf alle veröffentlichen Flüge des Düsseldorfer Airports im betroffenen Monat beruft. Viele Menschen mussten bis zu diesem Zeitraum verzichten und wollten sich den Urlaub bei gesunkenen Infektionszahlen und schönem Wetter nicht nehmen lassen. Im Vergleich zum Jahr vor der Corona-Pandemie waren es zwar noch immer 55 Prozent weniger Flüge, aber es landeten und starteten schon wieder 290 Maschinen täglich in der Landeshauptstadt. Die Hälfte der Passagiere, die von allen NRW-Flughäfen ins Ausland reisten, hoben von Düsseldorf ab.

Nachdem die Infektionszahlen gegen Jahresende 2021 und Anfang des laufenden Jahres wieder stiegen, die Flugzahlen wieder sanken (auf 57 Prozent weniger Flüge im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten), gibt es seit April 2022 einen regelrechten Boom. Auch diese Zahlen kommen von Bürgern gegen Fluglärm. Die Aktivisten listen en Detail auf, wie viele Flüge es gab, wie viele Verspätungen und auch wie viele außerplanmäßige Landungen und Starts es waren, die die Ruhe der Menschen rund um den Flughafen in der Nacht und am frühen Morgen störten. Im April 2022 starteten und landeten etwa 11.300 Maschinen, 300 Prozent mehr als noch im April vergangenen Jahres. Täglich 380 Flugzeuge – dabei ist der April gar keine typische Reisezeit. Doch viele haben offenbar die Chance der Osterferien und der deutlich entschärften Pandemie-Beschränkungen genutzt.

Im Juni waren es dann knapp 13.000 Flüge am Airport in Düsseldorf, 430 Maschinen pro Tag. Das Chaos am Flughafen dürfte dazu beigetragen haben, dass es letztlich sogar weniger Reisen gab als geplant, denn viele Flüge wurden gestrichen. Im kompletten Jahr 2022 waren es somit bisher etwa 65.600 Maschinen (Stand: 7. Juli 2022). Das zeigen Zahlen des Deutschen Fluglärmdienst, der nicht nur für den Düsseldorfer Airport Daten erhebt, sondern auch für andere Flughäfen in der Bundesrepublik. Ungefähr 206.000 Tonnen Treibhausgase wurden dabei ausgestoßen – allein für Start und Landung. Gemessen wird, bis die Maschinen eine Höhe von 914,40 Meter (3000 Fuß) erreicht haben. Die Zahlen sind ähnlich hoch wie im ersten Pandemiejahr, das bis Mitte März noch ohne Beschränkungen lief. Und im Sommer werden noch etliche Urlauber hinzukommen. Das scheint sicher.

Das eine sagen, das andere machen – der Attitude-Behavior-Gap

Einige Umfragen aus der Pandemie zeigen allerdings, dass die Menschen an die Klima-Erfolge der Lockdowns anknüpfen wollten: So zum Beispiel der Zukunftsmonitor der Stiftung Zukunftsfragen aus dem Jahr 2021. Er kam bei einer Befragung zu dem überraschenden Ergebnis, dass etwa zwei Drittel der Menschen nicht mehr jedes Jahr planen, in den Urlaub fahren zu wollen. 1991 waren das nur 31 Prozent, also eine Steigerung um das Doppelte innerhalb von 30 Jahren. Einem Zeitraum, in dem der Klimawandel immer präsenter wurde. Davon abgesehen, dass nicht jeder die finanziellen Möglichkeiten hat, jährlich in den Urlaub zu fliegen: Nur weil Menschen sagen, sie wollten nicht mehr so häufig in den Urlaub fahren, bedeutet es schließlich nicht, dass sie das auch so umsetzen.

Hier kommt der Attitude-Behavior-Gap ins Spiel, der besagt, dass es eine Lücke zwischen der eigenen Haltung zu etwas, und dem Verhalten der Menschen gibt, wenn sie ihre Bedürfnisse intuitiv erfüllen. Wer sagt, ihm sei Klimaschutz wichtig oder sie wolle nachhaltiger leben und dann aber doch das Gegenteil tut – nach Mallorca oder in die Türkei fliegen, die beliebtesten Reiseziele 2021 – der hat dem Klima nicht geholfen. Und sollte als Mensch bewusst reflektieren, wie klimafreundlich er sich wirklich verhält und wie er sein Verhalten der eigenen Haltung annähern kann, um die Lücke zu schließen.

Schon klar, die Flugreise ist die schnellste Möglichkeit weit weg vom Alltag zu sein. Wer würde das nicht gern: Abschalten an einem Ort, an dem nichts an Arbeit, Stress und heimische Verpflichtungen erinnert. Doch nachhaltig ist das für die Erde nicht. Denn die Flutkatastrophen, die sinkende Artenvielfalt, Waldbrände und Hitze zeigen deutlich, dass der Klimawandel dem Globus zu schaffen macht.

Urlaub ist wichtig – doch bewusst gewählt wäre er für das Klima noch wichtiger

Klar: Wer so viel Einschränkung erlebt hat in den vergangenen Jahren durch Lockdowns, hat vielleicht erst recht das Gefühl, etwas nachholen zu müssen und die „neue Freiheit“ zu genießen. Ein Abenteuer als Ausgleich zum ganzen Verzicht erleben zu dürfen, scheint unbedenklich. Doch wer reist, darf sich Gedanken darüber machen, welche Folgen für unseren Lebensraum zu befürchten sind. Urlaub und Pausen machen – das kann niemand verbieten. Die oft zitierte Flugscham sollten Urlauber aber aushalten können, wenn sie doch fliegen. Denn auch beim Reisen sollte es keine Ausnahmegenehmigung für klimaschädliches Verhalten geben. Vor allem weil der Tourismus laut Umweltbundesamt etwa acht Prozent der weltweiten Emissionen ausmacht. Der globale Verkehr liegt bei 23 Prozent – knapp das Dreifache. Aber Urlaub, so wichtig er ist, bedeutet für die Verbraucher vor allem einen Freizeitspaß.

Die wollen dort, wenn sie angekommen sind, „temporär in eine heile Welt entfliehen“, heißt es auch im Zukunftsmonitor. Das ist allerdings ein merkwürdiger Gedanke. Denn unsere Welt ist alles andere als heil und Probleme auszublenden, hilft uns nie lange weiter. Auch persönlich kann es für Vielflieger gefährlich werden. Wenn Menschen sich nur dann auf Erholung einlassen können, wenn sie drei Stunden mit dem Flieger Richtung Sonne unterwegs sind, wird es schwierig für sie, längere Durststrecken und die Probleme unserer Zeit auch zwischen den Urlauben auszuhalten. Dabei liegt das Gute so nah. Wie und wo Menschen aus Nordrhein-Westfalen Urlaub und Ausflüge vor der eigenen Haustür machen können, haben wir in diesem Artikel aufgeschrieben und in einer interaktiven Ausflugszielkarte festgehalten. Gute Reise und eine angenehme Erholung.

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