Prognose stand auf tönernen Füßen Der Weltklima-Rat erlebt sein Himalaya-Debakel

Düsseldorf (RP). Der Weltklima-Rat muss einräumen, dass seine Voraussage über bald abschmelzende Gletscher auf dem Dach der Welt fragwürdig ist. Klimaschützer fordern, wissenschaftliche Thesen strenger zu prüfen.

Kabinettsitzung in 5262 Metern Höhe
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Deutschlands renommiertester Klimaforscher, Hans-Joachim Schellnhuber, schilderte es bislang in seinen Vorträgen als eine Art Paradebeispiel für die dramatischen Folgen des Klimawandels: Die Gletscher im Himalaya schmelzen, der Ganges danach erhält in den regenarmen Zeiten nicht mehr genug Wasser aus den Bergen. Mit der Folge, dass Hunderte Millionen Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren, weil die Felder rechts und links des gigantischen Flusses zeitweise verdorren.

Nach dem Eingeständnis des Weltklima-Rats, dass seine Prognose für die Himalaya-Gletscher auf "wenig fundierten" Daten beruht, wird sich Schellnhuber ein anderes Beispiel suchen. Das dürfte dem Klimaberater der Kanzlerin nicht schwer fallen, denn die allermeisten Indizien für den Klimawandel und seine Folgen sind keineswegs so fragwürdig wie jene vom "Dach der Welt".

Schwer nachvollziehbar

In seinem 2007 veröffentlichten Bericht hatte der Klima-Rat unter Berufung auf die Umweltschutzorganisation WWF vorausgesagt, dass die Gletscher im Himalaya bis zum Jahr 2035 von 500.000 auf 100.000 Quadratkilometer zusammenschmelzen, sollte die Erderwärmung ihr Tempo beibehalten.

Mehreren Klimaforschern, die zum Teil selbst an dem Report mitgearbeitet haben, erschienen diese Angaben angesichts der gewaltigen Eismassen schwer nachvollziehbar. Bei ihrer Spurensuche entdeckten sie, dass die Mengen-Angaben auf eine einzige Quelle zurückzuführen sind — auf ein Interview, das ein indischer Gletscherforscher 1999 einem populärwissenschaftlichen Magazin gegeben hatte. Brisant wurde diese Vorhersage aber erst durch den kurzen Zeitraum. Der Termin 2035 ist zu allem Überfluss ein Schreibfehler — ein angesehener russischer Gletscherforscher hat vor 14 Jahren errechnet, dass bis 2350 die Eismassen im Himalaya auf ein Fünftel schrumpfen könnten.

Peinliche Angelegenheit

WWF International ist die Angelegenheit höchst peinlich. Die Umweltschützer bedauern, dass sie diese "irrige" Information geliefert und für Konfusion gesorgt haben. Dennoch seien die Wissenschaftler ernsthaft besorgt über den Rückgang der Gletscher des Himalaya.

Regine Günter, Klima-Expertin des WWF, begrüßt, dass der Klima-Rat eine gründliche Untersuchung des Himalaya-Eises angekündigt habe. Bedingungsloses Offenlegen aller Erkenntnisse sei jetzt der beste Weg, um die Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Der Klima-Rat erklärte selbstkritisch, der Vorfall zeige, dass die Qualität seiner Berichte von der umfassenden Überprüfung jeder einzelnen Quelle abhänge.

Klima-Rat soll Zwischenbericht vorlegen

Grundsätzliches zu verbessern sieht der grüne Bundestagsabgeordnete Hermann Ott, der bis vor kurzem der führende Klima-Experte im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie war. Er fordert eine Revision des Verfahrens, mit dem der Klima-Rat die verarbeiteten Daten überprüft.

In der Arbeitsgruppe 1, die sich mit den wissenschaftlichen Aspekten des Klimasystems und der Klimaänderung befasst, sei es Standard, dass Ergebnisse von Experten aus einer Region durch Kollegen aus einer anderen Weltgegend nachgeprüft werden. In der zweiten Gruppe, die unter anderem das Himalaya-Dossier erstellt habe, gebe es diese Sicherung bislang nicht. Das müsse sich dringend ändern, sagt Ott.

Zudem sollte der Klima-Rat möglichst einen aktualisierten Zwischenbericht vorlegen. Und zwar nicht nur mit verlässlichen Voraussagen für den Himalaya-Gletscherschwund — dessen Zunahme der Rat nach wie vor für erwiesen ansieht — , sondern auch mit den dramatischen neuen Erkenntnissen über den rapide wachsenden Eisschwund im Nordpolarmeer. Alles deute darauf hin, dass es bereits Ende der 2020er Jahre im Sommer eisfrei sein könnte.

(RP)
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