München Kardinal Marx geißelt Angstmacherei der Kirche

München · Als der Physiker Wolfgang M. Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums an der Isar, den rastlos zwischen München, Brüssel und Rom pendelnden Münchner Erzbischof und Papstberater Reinhard Kardinal Marx fragte, ob er nicht dem Kreis der Freunde und Förderer des berühmten Münchner Technik-Museums beitreten wolle, sagte der Theologe dem Naturwissenschaftler spontan zu. Der 60-jährige Westfale aus Geseke und "Ehrenbayer" (Ministerpräsident Horst Seehofer) Marx erklärte anlässlich einer Veranstaltung über "Glaube und Bildung" in der Katholischen Akademie in Bayern seinen Drang, über den Tellerrand seines Metiers, der Theologie, hinauszuschauen: "Lesen und Hunger nach Bildung sind wichtig. Glaube ist nicht bloß Gefühlsakt." Religion müsse sich dem Forum der Vernunft stellen, sonst, so Marx, könne sie nach einer Aussage von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. pathologisch werden.

Der Erzbischof, der dem Kreis von acht Kardinälen angehört, die Papst Franziskus bei der Leitung der Weltkirche unterstützen und notwendige Reformen in der Weltkirche anstoßen sollen, meinte schmunzelnd auf die Frage von Akademiedirektor Florian Schuller, ob nicht auch das Bildungs- und Fortbildungsinteresse der Priesterschaft steigerungsfähig sei: "Ja, ein Upgrade ist möglich, übrigens auch bei Bischöfen." Marx hat auf seinem Nachttisch stets mehrere nichttheologische Bücher zur Abendlektüre deponiert; zurzeit sind das Christopher Clarks Bestseller über den vor 100 Jahren ausgebrochenen Ersten Weltkrieg, Rüdiger Safranskis neues Werk über Goethe und Daniel Kehlmanns Roman "F".

Nach Marx' Überzeugung steht ein christlicher Glaube, der nicht auf Bildung ausgelegt ist, nicht in der Nachfolge Jesu; schliesslich sei auch Jesus ein großer Lehrer gewesen. Das Christentum sei Bildungsreligion. Wer sich als Theologe auf sein Gebiet verenge und sich anderen Denkweisen gegenüber verschließe, könne den ganzen Glauben nicht recht verkünden. Generell erreiche der Mensch ohne Bildung nicht die vollen Möglichkeiten seines Menschseins. Marx, der mit dem Oldenburger Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer ein Dialogbuch über "Glaube und Bildung" veröffentlicht hat, hätte sich mehr kirchlichen Widerstand in der Debatte um eine verkürzte Gymnasialzeit gewünscht. Da sei man zu schweigsam gewesen.

Der Kardinal riet auch Älteren, "wenn möglich bis zum letzten Atemzug" die Lebenszeit lernend und staunend zu verbringen. Zu der Frage, ob die katholische Kirche früher nicht allzu oft Debatten mittels Drohungen geführt habe, wandte sich der Papst-Berater scharf gegen überholte Höllenangst-Verbreitung.

Kardinal Marx vertritt die Meinung: "Wer Angst macht, bewegt sich nicht in Jesu Spur." Jesus zu begegnen heiße ganz in dessen Sinn: "Fürchte dich nicht."

(RP)
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