Kalkstein gegen Klimawandel

London · Zusätzlicher Kalk in den Weltmeeren soll das Treibhausgas CO2 in der Atmosphäre binden. Und das bis auf Werte vor der Industrialisierung. Die drohende globale Erwärmung würde ausfallen. Noch sind viele Detailfragen offen, aber die Lösung wäre einfach.

Bei Hagelstürmen im Frühling oder Orkanen im Winter hängt sie in der Luft: die Angst vor der drohenden katastrophalen globalen Erwärmung. Ausgelöst durch das Kohlendioxid (CO2), das der Mensch seit der Industrialisierung in die Atmosphäre emittiert hat — bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas, die Jahrtausende in der Erde eingeschlossen waren.

Doch nun hat eine Gruppe von Chemikern rund um den Wissenschaftsberater Tim Kruger vom Londoner Unternehmen Corven eine Lösung entwickelt, die bestechend einfach klingt: Mit zusätzlichem Kalk in den Ozeanen könnte CO2 aus der Atmosphäre gebunden werden — bis hin zu Konzentrationen, wie sie vor der Industrialisierung herrschten.

Die Idee an sich ist nicht neu und wurde bereits Mitte der 90er Jahre untersucht. Damals kamen Experten indes zu dem Schluss, dass das Brennen von Kalk aus Kalkstein mit Temperaturen jenseits der 900 Grad zu viel Energie verbrauchen und Kohlendioxid freisetzen würde.

Doch das muss nicht sein, hält die Gruppe um Tim Kruger dagegen. Sie verfolgen einen sehr viel pragmatischeren Ansatz: Der Kalk sollte dort gewonnen werden, wo es Energie ohnehin im Überfluss gibt — die indes kaum genutzt wird, weil es unwirtschaftlich wäre. Als Beispiel führt die Gruppe die Nullarbor-Ebene in Australien an — die mit schätzungsweise 10 000 Kubikkilometer der vermutlich größte "Kalkstein" der Welt ist. Menschen leben dort kaum, dafür scheint die Sonne und liefert pro Quadratmeter und Tag 20 Megajoule an sauberer Energie. Ein etwa zehn mal 30 Meter großes Feld an Solarkollektoren würde genug Strom liefern, um aus einer Tonne Kalkstein rund 500 Kilogramm ungelöschten Kalks (Calciumoxid) zu gewinnen. In Verbindung mit Wasser wird daraus Calciumhydroxid oder Löschkalk.

Ein Prozess, bei dem tatsächlich "Kohlendioxid entsteht", gibt Kruger zu. Das erscheint auf den ersten Blick kontraproduktiv. Doch für jedes CO2-Molekül, das beim Kalkbrennen entsteht, würden nachher zwei aus der Atmosphäre wieder aufgenommen. Nämlich dann, wenn der Löschkalk sich im Meerwasser mit gelöstem Kohlendioxid verbindet und Carbonat-Salze bildet. Die hätten dann auch noch den weiteren Vorteil, dass sie der zunehmenden Übersäuerung der Meere durch das Kohlendioxid entgegen wirken.

Der Ansatz funktioniert, weil die Weltmeere schon jetzt zwei bis 2,2 Millionen Tonnen CO2 aufnehmen. Ein natürlicher Prozess, der mit der Zugabe von Löschkalk dramatisch gesteigert werden könnte — mit der Folge, dass die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre drastisch sinkt.

Auf den ersten Blick erscheint die dafür notwendige Menge an Kalkstein gigantisch. Um vorindustrielle Atmosphären-Werte des Treibhausgases CO2 zu erreichen, müssten zurzeit etwa 500 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in den Meeren gebunden werden. Doch rechnet man das Verfahren durch, würden dafür 1000 bis 1500 Kubikkilometer Kalkstein benötigt. In der Nullarbor-Wüste ist die neun- bis zehnfache Menge verfügbar.

Der Ölkonzern Shell ist von der Idee dermaßen beeindruckt, dass er die Arbeit der Gruppe mittlerweile sponsort. Denn im nächsten Schritt müssen noch offene Fragen geklärt werden. Beispielsweise, ob es einen negativen Effekt auf das maritime Leben gibt. Auf den ersten Blick scheint es da zwar keine Bedenken zu geben, aber letztendlich würde der Mensch damit massiv in ein Ökosystem eingreifen.

Zudem müsste der Kalk einigermaßen flächendeckend über die Weltmeere verteilt werden. Würde er nur an einer Stelle in den Ozean geleitet, könnte die Reaktion umschlagen und CO2 wieder freigesetzt werden. Eine Ansatz wäre, Fracht- und Containerschiffe sowie Supertanker bei ihren Fahrten Kalk ins Meer leiten zu lassen.

Und auch für das Kohlendioxid, das beim Kalkbrennen entsteht, gibt es Alternativen: Das Treibhausgas könnte aufgefangen und unterirdisch deponiert werden. Und das mit maximal acht US-Dollar pro Tonne sehr viel kostengünstiger als bei einem Kohlekraftwerk, weil beim Kalkbrennen reines Kohlendioxid entsteht. Zum anderen könnte das CO2 in Treibhäusern Pflanzen zur Verfügung stehen. Oder aber man nutzt die frei verfügbaren Energie, um das anfallende Kohlendioxid in Kohlenstoff und Sauerstoff aufzuspalten.

(RP)
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