Düsseldorf Junge Helden in einer düsteren Welt

Düsseldorf · Dystopien wie die "Tribute von Panem" treffen mit ihren Weltuntergangsszenarien den Nerv der Zeit.

Katniss Everdeen will ihre Schwester retten und löst einen Aufstand aus. Méto isst, schläft und trainiert in einem mysteriösen Haus, bis eine Rebellion beginnt. June ist eine Top-Agentin der Republik; als sie den Staatsfeind jagt, beginnt ihr Weltbild zu bröckeln. Bea ist eine Zweitklassenbürgerin, die beim Ausflug ins Ödland entdeckt, dass es sich lohnt, für ein freies Leben außerhalb der Sauerstoffkuppel zu kämpfen. Katniss, Méto, June, Bea – sie alle kommen aus einer Welt nach unserer Zeit, aus einer Welt, die in der Zukunft spielt. Sie kämpfen gegen Hunger, Armut, Unterdrückung, Überwachung und ums nackte Überleben. Sie alle sind Helden aus aktuellen Jugendbüchern, die man inzwischen zu einem Genre bündelt: Dystopie.

Dystopien entwerfen düstere Szenarien von unserer Zukunft, in der einzelne Individuen rebellieren. George Orwell mit "1984" und Aldus Huxley mit "Schöne neue Welt" haben es vorgemacht. Doch jetzt gibt es eine neue Welle finsterer Gesellschaftsentwürfe, die über die Jugendbuchliteratur meist aus dem angloamerikanischen Raum herüberschwappt. "Die Tribute von Panem" gehören zu den populären Vorkämpfern. Doch inzwischen surfen viele Autoren und Verlage auf dieser Welle mit Erfolg.

Auf eines kann man sich bei den Weltuntergangsromanen verlassen: Sie haben feste Elemente: Gezeigt wird eine Welt nach einem Umsturz (siehe "Tribute") oder einer Klimakatastrophe. In "Breathe" hat ein Sauerstoffmangel nach einem plötzlichen Baumsterben die Menschen unter eine Kuppel getrieben. In "Legend. Fallender Himmel" hat eine Flutkatastrophe Los Angeles in einen Trümmerhaufen verwandelt.

In diesen neuen Welten herrscht ein totalitäres Regime, das sich als korrupt erweist. Die Gesellschaft ist geteilt in Eliten und Unterschichten; es gibt einen staatlichen Überwachungsapparat. In diesem Szenario kämpfen einzelne, meist durchschnittliche junge Leute – die jungen Helden rebellieren nicht nur, sie verlieben sich auch. Und schon hat man ein perfektes Strickmuster für erfolgreiche Jugendbücher!

"Erzähltechnisch bietet das Genre viele Vorteile", sagt Literaturkritiker Ralf Schweikart. "Man hat eine andere Fallhöhe als in einer Reihenhaussiedlung. Es gibt gewaltige Konflikte, die Welt ist bedroht. Das ergibt eine gute Dramaturgie und einen idealen Hintergrund für eine Liebesgeschichte." Trendforscher Peter Wippermann sieht auch gesellschaftliche Gründe, warum die Dystopien den Nerv der Leser treffen. "Es gibt seit 2007/2008 eine Krisenstimmung in der westlichen Welt: Die frühere Grundstimmung ,Wir retten die Welt' ist vorbei. Verlässliche Größen zerbröseln: das Klima, die demografische Entwicklung; vieles scheint aus den Fugen; Beziehungen werden durch die ,social media' flüchtiger; es gibt klare Gewinner und Verlierer in der Wirtschaft. In einer solchen Welt muss der Einzelne nicht nur nett sein, sondern kämpfen", erklärt Wippermann. Der Trendforscher sieht einen weiteren Einflussfaktor: Computerspiele. "Es gibt den Einfluss der geschichtenerzählenden elektronischen Spiele wie ,World of Warcraft', in denen es ums Zerstören, Kämpfen und Siegen geht."

Optimistischer sieht dagegen der Dystopie-Fan Maik Nümann das Genre. "Es geht in den Jugendbüchern darum: Wie finde ich mich selbst? Die Helden schaffen es immer, das negative System zu verändern, und das ist positiv", sagt der Gymnasiallehrer, der eine Webseite über dystopische Literatur betreibt.

Literaturkritiker Schweikart ist indes müde von der geballten Endzeitstimmung und hofft, dass die Dystopien inzwischen den Zenit überschritten haben und die Jugendbücher wieder den Alltag aufgreifen, irgendwann wieder in Richtung "Reihenhaussiedlung" zurückkehren.

(RP)
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