Josef Schuster "Wir wollen raus aus der Meckerecke"

Düsseldorf · Der Präsident des Zentralrats sagt, die Juden in Deutschland möchten sich nicht mehr primär durch die Shoah definieren.

Die Jüdischen Kulturtage sind im Rheinland das Ereignis der kommenden vier Wochen: ab dem 22. Februar wird jüdische Kultur in über 360 Veranstaltungen zu erleben sein. Die Kulturtage dienen darum auch dazu, jüdisches Leben und jüdischen Alltag kennenzuleren und zu verstehen. Zur Eröffnung in der Düsseldorfer Tonhalle wird auch Josef Schuster (60) sprechen, der seit knapp zwei Monaten Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland ist.

Das Motto der Jüdischen Kulturtage, ,angekommen - jüdisches (er)leben', kann man auch politisch verstehen. Würden Sie sagen, dass die Juden in Deutschland angekommen sind? Gibt es ein neues Selbstverständnis?

Schuster Das ist richtig interpretiert. Es ist jetzt über 20 Jahre her, dass Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zu uns gekommen sind - Menschen, die wegen ihrer großen Zahl die jüdischen Gemeinden mitgeprägt und natürlich auch eigene kulturelle Gepflogenheiten mitgebracht haben. Es war die große Aufgabe unserer Minorität, eine Majorität zu integrieren. Diese Menschen sind jetzt in Deutschland und in den jüdischen Gemeinden angekommen.

Es gab vor ein paar Jahren die Diskussion, ob der Zentralrat der Juden in Deutschland künftig Zentralrat der deutschen Juden heißen sollte - als eine Art Statement zum Land. Wird darüber wieder gesprochen werden?

Schuster Diese Diskussion war eine sehr ernsthafte Diskussion, die durch die große Welle der Zuwanderung aber wieder fallengelassen wurde. Das bleibt eine wichtige Frage, die sich heute zwar nicht stellt, die der Zentralrat in Zukunft aber führen wird.

Sind die Kulturtage auch in diesem Sinne eine Art jüdische Selbstdarstellung?

Schuster Wir Juden in Deutschland wollen raus aus dieser Ecke, die mein Vorgänger, Dieter Graumann, einmal die ,Meckerecke' nannte. Wir wollen nicht immer nur gefragt werden, wenn es um Antisemitismus geht. Judentum und jüdisches Leben definieren sich auch nicht primär durch die Shoah. Vielmehr hat das Judentum einen sehr breiten kulturellen Hintergrund mit einer überaus fröhlichen Tradition. Dies wollen wir auch in die nicht-jüdische Gesellschaft weitertransportieren.

Frühere Generationen von Juden haben sich aufgrund ihres furchtbaren Erlebens stark über die Shoah definiert. Dominiert nun eine Zukunftsperspektive?

Schuster Es sind zwei Punkte, die mir wichtig sind. In Deutschland, besonders im Rheinland, gibt es eine 2000-jährige jüdische Geschichte. Und jüdisches Leben gibt es in Deutschland heute wieder - in über 100 jüdischen Gemeinden.

Dabei ist die Zahl von Juden in Deutschland seit geraumer Zeit wieder rückläufig. Es scheinen sogar Gemeinden wieder gefährdet zu sein.

Schuster In der Tat, die demografische Entwicklung ist nicht optimal. Eine Zuwanderung gibt es seit 2005 praktisch nicht mehr. Inwieweit es auch in 30 Jahren noch 108 jüdische Gemeinden in Deutschland gibt, dafür möchte ich meine Hand nicht ins Feuer legen. Ich bin mir aber absolut sicher, dass der weitaus größte Teil der jetzt existierenden jüdischen Gemeinden auch künftig vorzufinden sein wird.

Bei den jüngsten Attentaten in Paris wurden zunächst vor allem die ermordeten Karikaturisten betrauert. Von den jüdischen Todesopfern, die es ja auch gab, war erst sehr viel später die Rede.

Schuster Das hat mich irritiert. Viele Medien sprachen nämlich beim zweiten Tatort nur von einem Supermarkt. Kaum jemand hat realisiert, dass dies ein Supermarkt mit koscheren Lebensmitteln war und darum bewusst von den Attentätern ausgesucht worden ist. Dieser Anschlag galt gezielt Juden - und ausschließlich deshalb, weil sie Juden waren. Sie haben keine Karikaturen gezeichnet; sie haben niemanden geschützt, etwa als Polizeibeamte. Sie wurden ermordet, weil sie Juden waren.

Wie nehmen Sie die Demonstrationen der sogenannten Pegida-Bewegung wahr, die sich vordergründig gegen eine Islamisierung wenden, aber die Tendenz zur Ausgrenzung insgesamt bestärken wollen.

Schuster Die Bewegung steht ganz und gar im Zeichen der Ausgrenzung. In meinen Augen steht der Islam nur als Synonym für fast alle Minderheiten - für Ausländer und letztlich auch für Juden, auch wenn immer wieder vom schützenswerten christlich- jüdischen Abendland gesprochen wird. Die Menschen müssen überlegen, hinter welchen Rattenfängern sie herlaufen. Andererseits habe ich das Gefühl, als habe die Bewegung ihren Höhepunkt überschritten.

Ermutigend ist aber doch auch die große Zahl von Gegendemonstranten.

Schuster Erfreulich sind nicht nur die vielen Gegendemonstranten. Sondern unter ihnen all jene Menschen, die ansonsten nicht so schnell auf die Straße gehen. Das ist ein sehr positives Zeichen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort