Düsseldorf Impulse an der Ruhr

Düsseldorf · Das Impulse-Festival zeigt sich mutig wie selten. In Mülheim wird das Beste der freien Theaterszene aus dem deutschsprachigen Raum gezeigt.

Obwohl Stadttheater immer öfter die Nähe zur freien Szene suchen, sieht Haiko Pfost, der neue Leiter des Impulse-Theater-Festivals, weiter gewaltige Unterschiede: "Im freien Theater wird ganz anders produziert. Es gibt andere Zeitabläufe mit langen Recherche-Phasen im Vorfeld. Man arbeitet in Kollektiven, denkt andere Räume, die Szene ist viel internationaler." Rund 300 Stücke von Gruppen aus dem deutschsprachigen Raum hat sein Team mit Hilfe von regionalen Scouts und einer Publikumsjury gesichtet und zehn für ein "Showcase" ausgewählt, eine Aufführungsreihe, die ab Mittwoch im Ringlokschuppen Mülheim stattfindet. In Düsseldorf gibt es zudem ein Stadtprojekt und in Köln die Impulse-Akademie, wo über Produktionsbedingungen und Ästhetik des freien Theaters diskutiert wird. Unsere Empfehlungen zum Mülheimer Bühnenprogramm:

Zurücklehnen unerwünscht

Oberstes Kriterium für die Auswahl der Impulse-Stücke war laut Festivalleiter Haiko Pfost: "Herausfordernd sollten sie sein!" In idealer Weise löst dies das Duo Thom Truong mit seiner Performance "Enjoy Racism" ein. Es lädt die Zuschauer in einen Raum, in dem Zurücklehnen und bloß Zuschauen unmöglich ist. Die Hautfarbe spielt hier zwar keine Rolle. Dafür werden die Besucher aufgrund ihrer Augenfarbe diskriminiert. Blauäugige dürfen in die Lounge, Braunäugige müssen in eine Art Rumpelkeller. Ein Genuss für die Privilegierten - der allerdings nur um den Preis der Diskriminierung der anderen zu haben ist und sich bald umkehrt. Aufführungen vom 21. bis 23. Juni.

Stammgäste beim Festival

Von einer Zweiklassengesellschaft erzählt auch das Kollektiv She She Pop: Für "Oratorium" hat es in einem zweijährigen Rechercheprozess herauszufinden versucht, wie Eigentumsverhältnisse das Bewusstsein verändern. Das Publikum muss überlegen, zu welcher Gruppe es sich zählt: zu den Reichen oder zu den Armen? Da die Gruppe ihre Aufführungen auf den jeweiligen Ort zuschneidet, hat sie im Vorfeld auch Millionäre und arme Menschen in Mülheim an der Ruhr gesucht. "Die soziale Schere ist in der Stadt sehr groß", sagt Haiko Pfost. She She Pop gehört zu den Stammgästen des Festivals und bildet damit eine Ausnahme: Ansonsten wartet das Programm ausschließlich mit Neulingen auf. Aufführungen am 14. und 15. Juni.

Laientheater-Stücke in Mundart

Wie fremd Kunst aus dem eigenen Sprachraum sein kann, zeigt die Eröffnung der Impulse: Am 13. Juni findet zwischen Eröffnungsreden und Büfett das "Dorf Theater" von Corsin Gaudenz statt. Es handelt sich um eine Collage aus Laientheater-Stücken aus der schweizerischen Provinz - und dabei wird natürlich Mundart gesprochen, die ein urbanes, westdeutsches Publikum nur sehr selektiv versteht. Weniger fremd wird es sich wahrscheinlich im queeren Clubraum fühlen, den eine internationale Künstlergruppe ebenfalls zur Eröffnung für das Stück "Pink Mon€y" in die Bar des Ringlokschuppen baut. Darin geht es um die Währung, mit der man sich Toleranz erkauft - das Geld, das durch einen gezielten lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, intersexuellen und queeren Tourismus in ein Land wie Südafrika gebracht wird. Weitere Aufführungen am 14. und 16. Juni.

Radikaler Schlaf

"Die radikalste Position des Festivals" ist für Impulse-Leiter Haiko Pfost die Performance "Guardians of Sleep" von David Weber-Krebs. Sie beginnt mit einer Flut von Sinneseindrücken, wie wenn man sich stundenlang nicht vom Neuigkeiten-Fluss der sozialen Netzwerke losreißen kann. Wenn die Eindrücke versiegen und die Displays erlöschen, ist das Publikum auf sich selbst zurückgeworfen und durchlebt gemeinsam mit den Performern ein gemeinschaftliches Schlaferlebnis. Aufführungen am 22. und 23. Juni.

Körperdiskurse

Ein großes Thema des Festivals sind Körperdiskurse: In "Apollon" (15. und 16. Juni) zeigt Florentina Holzinger den weiblichen Körper, wie man ihn selten sieht: nicht nur bei Ballett und Akrobatik, sondern auch bei Kickboxen und Gewichtheben. Mit tabulosem, feministischem Witz und waghalsigen Tricks dekonstruiert sie den Mythos von der perfekten Frau. In Roland Rauschmeiers "Consumption As A Cause of Coming Into Being" (20. und 22. Juni) suchen hingegen zwei Männer nach einer neuen Männlichkeit. Sie spielen ein grenzwertiges Spiel mit Sadomaso-Elementen, zärtlicher Zweisamkeit und einer Meditation über das eigene Geschlechtsorgan. Das ist sicher herausfordernd - aber genau das will das Festival ja sein, um Impulse in die Theaterwelt zu senden.

(mfk)
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