Analyse Hochschulpolitik im Griff der Ideologie

Düsseldorf · Der Widerstand gegen den Entwurf eines neuen Hochschulgesetzes in NRW ist massiv. Ministerin Svenja Schulze hat diesen Konflikt nicht aus konkreter Notwendigkeit begonnen, sondern aus tiefer Überzeugung. Offensichtlichen Handlungsbedarf gibt es nicht.

Kraftprobe? Ach was! Sie sehe den aktuellen Streit um die Hochschulen in NRW "als selbstverständliche und lohnenswerte politische Debatte", sagt Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD), wenn man sie fragt, was da eigentlich im Lande los sei. Anlass für den Krach ist ihr im November vorgelegter Entwurf für ein "Hochschulzukunftsgesetz", das dem Land wieder mehr Mitsprache – Kritiker sagen: Durchgriffsrechte – sichern soll.

Auch wenn die Ministerin das Wort "Kraftprobe" nicht mag: Der Gegenwind ist gewaltig. Die Uni-Rektoren haben sich gegen den Entwurf ausgesprochen, desgleichen 800 Wissenschaftler, die Studentenwerke, die Hochschulräte sowie die Akademie der Wissenschaften und Künste, natürlich die Opposition, und Schulzes Pläne haben sogar Studenten, Senat, Rektorat und Hochschulrat der Uni Düsseldorf zum gemeinsamen Protest veranlasst: eine seltene Allianz, die das Ausmaß des Unmuts ahnen lässt. Jenseits der rot-grünen Regierung unterstützen einzig die Gewerkschaften die Ministerin.

NRW steht wieder einmal vor einer bildungspolitischen Großauseinandersetzung. Anders als zuletzt 2010/11 aber gibt es dieses Mal keinen massiven gesellschaftlichen Druck, etwas zu ändern (wie bei den ungeliebten Studiengebühren), und auch keinen offensichtlichen Handlungsbedarf wie in der Schulpolitik. Schulze hat diesen Konflikt nicht aus konkreter wissenschaftlicher Notwendigkeit gewagt, sondern aus tiefer politischer Überzeugung – man könnte auch sagen: aus ideologischen Gründen. Mit ihrem Gesetzentwurf leitet sie einen Paradigmenwechsel ein, dem freilich eine gewisse Mutwilligkeit anhaftet. Der Wechsel ist auch deshalb so scharf, weil NRW derzeit eins der liberalsten Hochschulgesetze der Republik hat, das durchaus ebenfalls ideologiegetränkte "Hochschulfreiheitsgesetz" von Schulzes Vorgänger Andreas Pinkwart (FDP).

Dabei könnten die Hochschulen mit so mancher von Schulzes Maßnahmen leben – mit der im Kern gemäßigten Frauenquote, auch mit verstärkten Anstrengungen für solide Beschäftigungsverhältnisse und einer neuen Austarierung der Gremien-Kompetenzen. Das Problem ist, dass Schulzes als überbordend empfundener politischer Gestaltungswille fundamentalen Argwohn provoziert.

Beispiel "Zivilklausel": Der Entwurf verpflichtet die Unis auf den "Beitrag zu einer nachhaltigen und friedlichen Welt". Eine Selbstverständlichkeit? Für die Rektoren ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit: "Ein Gesetz hat keine Überschrift zu finden, die über Erkenntnisfortschritt und Wissenschaftsfreiheit hinaus Ziele setzt", sagt Ursula Gather, Rektorin der Technischen Universität Dortmund und Chefin der Landesrektorenkonferenz. Oft sei im Voraus nicht zu sagen, welchem Zweck etwa Grundlagenforschung diene. Von einer "unwirksamen deklaratorischen Klausel" spricht ihr Kölner Kollege Axel Freimuth, der gleichwohl fürchtet, das Land könne versuchen, auf diesem Wege das Forschungsspektrum zu beeinflussen. Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln etwa müsse dann doch wohl verboten werden, sagt Gather ironisch: "Die haben sicher keine Zivilklausel." Tatsächlich aber wird das DLR auch öffentlich finanziert.

Beispiel Drittmittel: Die Hochschulen sollen "in geeigneter Weise" über Projekte informieren, die aus Drittmitteln (also aus Forschungsorganisationen oder der Industrie) bezahlt werden. Es müssten "lediglich Thema, Volumen und Förderer" genannt werden, beteuert das Ministerium. Schulzes Kritikern ist schon das zu viel – sie befürchten die Abwanderung der Geldgeber. "Kein Unternehmen wird sich noch an eine Hochschule dieses Landes wenden", prophezeit NRW-Arbeitgeberchef Horst-Werner Maier-Hunke, "wenn es befürchten muss, dass gemeinsame Forschungsvorhaben auf dem Altar der Öffentlichkeit präsentiert werden." Rektor Freimuth sagt: "Hinterher veröffentlichen unsere Partner und wir gerne, aber doch nicht während der Planungsphase und während der Projekte."

Beispiel Bürokratie: Schulzes Leitbegriff heißt Transparenz. "Das ist in der Tat unsere grundsätzliche politische Überzeugung: Wir fordern nicht nur Transparenz, sondern stellen sie auch selbst her", sagt die Ministerin: "Wovor haben die Hochschulrektoren Angst?" Die antworten: vor noch mehr Verwaltungsaufwand. Schon jetzt schicke man jährlich mehr als zwei Dutzend Berichte ans Ministerium, sagt Gather. "Und im Jahresabschluss steht jeder Cent an Ausgaben. Transparenz steht für uns völlig außer Frage." Auch hier befürchten die Unis politische Begehrlichkeiten hinter den Forderungen: "Die Bestimmungen zum eigentlichen Berichtswesen werden kaum verändert", sagt Hans-Jürgen Simm, Kanzler der Uni Bielefeld. "Es geht darum, Möglichkeiten für verbindliche Regelungen über den Einzelfall hinaus zu schaffen – bis hin zum Zurückhalten von Landeszuschüssen." Rektor Freimuth fasst es so zusammen: "Wir möchten nicht von politischen Vorgaben im Detail gegängelt werden."

Alte Gegensätze spielten wieder neu eine Rolle, sagt der Bildungsforscher Heinz-Elmar Tenorth, der Hochschulrat an der Uni Bielefeld ist: "Die ideologischen Wünsche haben überlebt, und jetzt scheint man der Meinung zu sein, dass es eine Chance zur Umsetzung gibt." Das aber werde der komplizierten Realität nicht gerecht: "Niemand kann die Dynamik der Wissenschaft forschungsplanerisch umsetzen." Gerade weil die Universitäten sowohl der Fortentwicklung der Gesellschaft als auch der beruflichen Qualifikation dienten, gelte: "Die Hochschulpolitik muss den Mut haben, sich selbst zu entmachten." Alles andere sei Selbstüberschätzung.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort