Serie Geheimnisvolle Orte (4) Götz George macht Ruhrort zum "Tatort"

Duisburg · Am 28. Juni 1981 strahlte die ARD den allerersten "Tatort"-Krimi "Duisburg-Ruhrort" mit Götz George als Kommissar Horst Schimanski aus – die Geburtsstunde von "Schimmi". In Ruhrort erinnert jede Häuserecke an den Pöbel-Bullen.

 Götz George posiert während der Dreharbeiten 1981 am Ruhrorter Hafen, in seiner Hand eine Zigarette. Anders als seine Filmfigur Horst Schimanski greift George gerne zum Glimmstängel. Schimanski ist Nichtraucher. Im Hintergrund: die Firma Kleinholz, die es heute noch gibt.

Götz George posiert während der Dreharbeiten 1981 am Ruhrorter Hafen, in seiner Hand eine Zigarette. Anders als seine Filmfigur Horst Schimanski greift George gerne zum Glimmstängel. Schimanski ist Nichtraucher. Im Hintergrund: die Firma Kleinholz, die es heute noch gibt.

Foto: Bauer, DPA / Montage: Krebs, Radowski

Am 28. Juni 1981 strahlte die ARD den allerersten "Tatort"-Krimi "Duisburg-Ruhrort" mit Götz George als Kommissar Horst Schimanski aus — die Geburtsstunde von "Schimmi". In Ruhrort erinnert jede Häuserecke an den Pöbel-Bullen.

Es gibt Ecken in Ruhrort, da kann man noch den Schweiß von Schimanski riechen. Das zumindest erzählt man sich in dem gut 5000 Einwohner zählenden Stadtteil in Duisburg. Wer länger als 40 Jahre dort lebt, der hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Anekdote auf Lager, fragt man ihn nach Kommissar Horst Schimanski — oder eben nach Götz George, der dem pöbelnden Polizisten im Jahr 1981 Leben einhauchte. "Zottel, du Idiot, hör' auf mit der Scheiße!", ist der erste Satz von Horst Schimanski im "Tatort — Duisburg-Ruhrort". Nicht gerade der sympathischste Einstieg, den man sich von einem TV-Gesetzeshüter wünschen könnte.

Drei Minuten und 25 Sekunden, so lange dauert es, bis das erste "Scheiße" fällt. Ihm sollten in den nächsten zehn Jahren unzählige folgen. "Schimanski ist ein Rabauke, der ist mehr Verbrecher als Kommissar, sieht völlig gammelig aus", beschreibt Götz George seine Filmfigur. Und genau diesen Charakter skizziert das Intro der ersten Folge: Schimanskis Wohnung ist übersät mit dreckigem Geschirr und leeren Bierflaschen. Eine saubere Pfanne, in der er sich seine Frühstücks-Eier braten kann, findet er in dem Geschirr-Berg in der Spüle nicht. Kurzerhand schlägt er die Eier an einem dreckigen Glas auf, schüttet den Dotter hinein und trinkt den rohen Inhalt auf Ex. Dann verlässt er seine Wohnung und betritt die Bühne Ruhrort.

Götz George erinnert sich noch heute genau daran, wie schwierig der Einstand war. "Der Bürgermeister damals, der Krings, der war auf unserer Seite, der fand das alles okay. Die anderen wollten halt Bad Duisburg sehen: Mach das doch mal von der schönen Seite, wir haben doch auch schöne Ecken." Doch wie die Figur Horst Schimanski, so soll auch Duisburg nicht geschönt werden, will man die Ecken zeigen, in die man sonst keinen Blick wirft. "Die Duisburger waren natürlich entsetzt, weil sie sich auch geniert haben", sagt George. "Aber das war es doch: der Hafen, der runterkommt, Arbeitslosigkeit, die Schrotthaufen da, die runtergekommenen Ecken — das interessierte uns doch." Alles andere sei langweilig. Ruhrort bietet daher die ideale Kulisse.

Noch heute pilgern jährlich Tausende Schimmi-Fans nach Ruhrort, um auf den Spuren des Kommissars zu wandern. Detektivarbeit, sagt eine, die es wissen muss. Dagmar Dahmen führt auf den Schimmi-Touren wöchentlich Neugierige durch die schmalen Gassen Ruhrorts. An vielen Stellen kann man die ehemaligen Filmsets noch erahnen. Dreh- und Angelpunkt ist der Neumarkt — quasi das Zentrum Ruhrorts. Hier hat die Film-Crew während der fast dreiwöchigen Dreharbeiten im März 1981 campiert. "Nur Götz George nicht. Der hat im ,Steigenberger' Hotel am Duisburger Theater in der Innenstadt gewohnt — auch in diesem Jahr, als er wieder zu Dreharbeiten in der Stadt gewesen ist. Nur dass das ,Steigenberger Hotel' heute der ,Duisburger Hof' ist."

Die meisten Häuser, die im ersten Duisburger "Tatort" zu sehen sind, stehen noch. So wie das Haus an der Fürst-Bismark-Straße, das in einer der berühmtesten Szenen des Ruhrorter "Tatorts" eine Rolle spielt. Zum Hintergrund: Horst Schimanski und sein Kollege Christian Thanner (Eberhard Feik) führt ihr erster Fall zunächst in den Ruhrorter Hafen. Dort ist die Leiche des Binnenschiffers Heinz Petschek gefunden worden. Kaum angekommen, poltert Schimanski los, beschimpft einen Fotografen als "Arsch" und einen Polizisten als "Knallkopp". Bevor Schimanski allerdings dorthin zitiert wird, führt ihn sein Weg in die Fürst-Bismark-Straße zur "Bierquelle". Hier gönnte sich der Kommissar am frühen Morgen das erste Bierchen, bevor es mit den Ermittlungen losgeht. Gegenüber steht das Haus, aus dem der randalierende Ruhrorter "Zottel" seinen Fernseher schmeißt — dreimal darf der Darsteller Fernseher so verschrotten, bevor die Szene im Kasten ist.

Vom Neumarkt aus hat man heute einen guten Blick auf das Café Kaldi. Dass sich hinter der frisch renovierten Fassade des Cafés vor mehr als 30 Jahren einer der berühmtesten Schimanski-Drehorte befand, lässt sich kaum noch erahnen. Doch tatsächlich ist die König-Friedrich-Wilhelm-Straße 18 die Adresse der Kneipe "Zum Anker". In dieser Kneipe ist Heinz Petschek zum letzten Mal lebend gesehen worden, dort beginnen die Ermittlungen von Horst Schimanski. Es ist eine dunkle Spelunke. Der Zuschauer ahnt, dass es dort nach Bier und Zigarettenqualm stinkt. Kurios: In einer zweiten Szene in der Kneipe "Zum Anker" treffen sich Schimanski und Thanner zum Essen. Nicht etwa auf Curry-Wurst und Pommes — zum Muschelessen sind sie verabredet. Curry-Wurst, die isst Schimanski am liebsten in der Pommes-Bude "Bei Gina" am Friedrichsplatz. Den Namen hat man für den Drehort erfunden, eigentlich heißt der Imbiss "Pommes Kalle". Innen steht der Flipperautomat, im Fenster hängt ein Ankündigungsplakat des MSV Duisburg — damals noch 1. Liga. Heute ist der Imbiss ein Döner-Laden — Curry-Wurst steht dennoch auf der Speisekarte.

Schon vor den Dreharbeiten des "Tatorts" ist die Kneipe "Zum Anker" in Duisburg ein beliebter Treffpunkt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben die Ruhrorter Kneipen ihre Hochzeit, gibt es um die 120 ihrer Art. "Jede Reederei hatte ihren eigenen Treffpunkt", erzählt Dahmen. "Das war eine Männerwelt. Während sie in den Kneipen saßen, gingen die Frauen in Ruhrort einkaufen." Dass für den Ruhrorter "Tatort" im "Anker" tatsächlich auch gedreht wird, ist keine Selbstverständlichkeit, verrät Dahmen. "In einer weiteren Folge aus dem Jahr 1986 sieht man den ,Ruhrorter Hof' — eine Gaststätte — von außen, dann gibt es einen Schnitt, und man sieht den Innenraum. Irgendwann war ich dann mal dort drin, und die Inhaberin sagte mir, dort sei nie gedreht worden." Später stellt sich heraus, dass die Innenaufnahmen im benachbarten "Hotel Hansa" gedreht wurden. Ein Ruhrorter Handwerker gab den Tipp — er musste für die Szenen einiges umbauen.

Besonders kultig sind die Drehorte am Ruhrorter Hafen. Den Platz am Werfthafen kennen viele im Stadtteil nur als "Lünnemanns Loch". Ein Stückchen weiter am Vinckeufer steht heute eine Aral-Tankstelle. 1981 war es noch eine Texaco — der Spritpreis betrug in einer Filmszene damals noch preiswerte 1,27 D-Mark den Liter fürs Benzin. Eines der berühmtesten Fotos von Schimanski in seiner M65-Feldjacke, die inzwischen selbst Kult-Status erreicht hat, wurde am Ufer mit der Firma Kleinholz im Hintergrund geschossen. Schimanski sitzt auf einer Mauer, die heute von einem Geländer ersetzt wird. In der Hand hält er eine Zigarette. Zwar ist Horst Schimanski Nichtraucher, nicht aber George.

(RP)
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