Grenzen der Work-Life-Balance Was an Arbeit glücklich macht

Analyse | Düsseldorf · Eine Studie aus Harvard zeigt, dass Arbeit zum Wohlbefinden von Menschen beiträgt. Das scheint die eher lässige Arbeitsmoral heutiger Berufseinsteiger zu hinterfragen. Doch es ist vor allem ein Faktor von Arbeit, der Menschen langfristig zufrieden und glücklich macht.

 Arbeit kann das Wohlbefinden steigern. Das ist keine Frage von Karriere oder Gehalt (Symbolbild)..

Arbeit kann das Wohlbefinden steigern. Das ist keine Frage von Karriere oder Gehalt (Symbolbild)..

Foto: dpa-tmn/Christin Klose

Wer heute jung ist und gerade ins Berufsleben einsteigt, muss mit existenziellen Unsicherheiten leben. Die Generation Z, also jene, die um die Jahrtausendwende geboren wurden, gelten als technologieaffin, gesundheits- und umweltbewusst, als ungeduldig und fordernd. Was kein Wunder ist, denn in allen Kanälen der digitalen Welt, in die sie geboren wurden und in der sie sich ausgiebig bewegen, hören sie, dass die Zukunft der Menschheit auf einem sich aufheizenden Planeten ungewiss ist. Dass Künstliche Intelligenz auch Jobs überflüssig machen wird, die heute noch als anspruchsvoll, kreativ, unersetzlich gelten. Jobs, von denen sie womöglich träumen.

Zugleich lösen sich einst feste soziale Rollen auf, die Rolle von Mann und Frau, das Konzept Familie, die Zuschreibungen von Geschlechtern überhaupt. All diese Ungewissheiten haben mit Wandel zu tun, mit beschleunigter Veränderung, das bedeutet Chancen, aber auch Stress. Und natürlich erfasst dieser Wandel auch das Verhältnis zur Arbeit. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie unter Vorbehalt leben, dass sich ihre Pläne und Erwartungen jederzeit in Nichts auflösen könnten, warum sollten sie dann ihre ganze Kraft, ihren Ehrgeiz und Elan in das legen, was ihre Eltern Karriere nennen? Und womöglich das gute Leben verpassen, das die Gegenwart ihnen „noch“ bietet.

Und so stellt ein Teil der Elterngeneration gerade erstaunt fest, dass ein Teil der Generation Z sich nicht krumm rackern will. Sie erleben, dass junge Leute heute schon vor dem ersten Praktikum fragen, wie es denn mit dem Urlaubsanspruch aussieht. Und dass sie gehen, wenn die vereinbarte Stundenzahl gearbeitet ist - egal, was im Betrieb gerade noch los ist. Herzblut, Leidenschaft, Brennen für den Job vermissen die Älteren. Die Jüngeren dagegen misstrauen den Motivationsformeln von Chefs, wollen nicht den falschen Mohrrüben nachjagen und Selbstausbeutung verhindern. Kompromisslos. Weil das Hier und Jetzt mehr zählt als eine ungewisse Zukunft mit den Vorteilsversprechen einer Karriere, die vielleicht gar nicht mehr stattfindet.

All das fußt auf einer Vorstellung, die im Begriff der Work-Life-Balance ihren Ausdruck findet. Auf der Idee nämlich, dass zwischen Arbeit und dem restlichen, potenziell angenehmeren Leben ein Gegensatz besteht. Erwerbsarbeit ist dann das Andere, das vom wahren Leben abhält, das Kraft kostet, aber wenig Erfüllung bietet. Etwas, das man möglichst vermeiden sollte, um das Leben zu genießen. In dieser Vorstellung schwingt ein bestimmtes Freiheitsverständnis mit: Tun zu können, was man will, frei über seine Zeit verfügen zu können, keinen Zwängen unterworfen zu sein. Das beinhaltet als Negativfolie eine im Grunde ziemlich gestrige Vorstellung von Arbeit als Maloche – auch wenn sie in Kreativjobs geleistet wird und körperlich wenig anstrengt. Arbeit ist dann vor allem ein Zwang, der an der Entfaltung hindert. Eine Einschränkung. Eine Fremdbestimmung.

Nun zeigen Langzeitstudien wie die bereits 1938 begonnene biografische Erhebung „Harvard Study of Adult Development“ zur Entwicklung erwachsener Menschen, dass Arbeit durchaus ein wesentlicher Faktor für ein glückliches Leben sein kann. Und zwar unabhängig von der Art des Jobs, denn aus Glücksforscher-Sicht ist das Wichtigste an der Arbeit, dass sie Kontakte bietet. Wie Studienleiter Robert Waldinger in einer Publikation der Universität Harvard ausführt, sind glückliche Menschen signifikant seltener krank und ihr Glücklichsein steht in Zusammenhang mit vor allem einem Faktor: guten Beziehungen – in der Freizeit wie im Job.

Für die Studie wurden und werden Menschen über Jahrzehnte nach ihrem Leben und Einstellungen befragt. Dabei zeigte sich auch, dass weder Bezahlung, Ruhm, noch Auszeichnungen für besondere Leistungen die Zufriedenheit von Menschen besonders steigert, sondern die Qualität ihrer Kontakte zu den Kollegen und die Selbstwahrnehmung ihrer eigenen Rolle etwa als guter Mentor oder fairer Chef. „Unser soziales Leben ist ein lebender Organismus, der gepflegt werden muss“, sagt Waldinger. Darum sei neben der körperlichen die „soziale Fitness“ genauso bedeutsam für ein zufriedenes Leben. Laut Waldinger kann jede Art von zwischenmenschlichem Kontakt das Wohlbefinden steigern, nicht nur die engen Beziehungen zu Familie und Freunden, sondern auch die zu Kollegen oder die flüchtige, aber freundliche Begegnung mit einem Mitarbeiter am Empfang oder in der Kantine.

Das Leben insgesamt mit seinen Pflichten wie Erholungsphasen sollte sich also in möglichst vielen guten Beziehungen vollziehen. Das bedeutet nicht, dass Workaholiker die glücklicheren Menschen wären oder Selbstausbeutung zu mehr Lebenssinn führte. Doch Leben und Arbeit als Gegensatzpaar zu denken, verleitet dazu, im Vermeiden von Arbeit bereits eine Qualität an sich zu sehen. Dabei kommt es auch darauf an, was Menschen mit der Freizeit dann anfangen.

David Denk hat das ausprobiert. Im Selbstversuch ist er 26 Hobbys nachgegangen vom Singen im Chor bis zur Insektenpräparation und hat ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben: „Der Hobbyist“. Sein Fazit: Hobbys sind eine Möglichkeit, in einer Tätigkeit zu versinken, etwas um seiner selbst willen zu tun. „Diese Absichtslosigkeit ist bereichernd, sie hat es heute allerdings schwer“, sagt Denk, „viele Menschen setzen sich unter Druck, ihre Zeit möglichst effizient zu nutzen, das ist ein ständiger Abwehrkampf gegen die Ansprüche der Leistungsgesellschaft.“ Viele gäben im Laufe ihres Lebens auf. Wenn sie Familien gründeten, der Erwartungsdruck im Job steige, beendeten sie die Hobbys ihrer Jugend.

Denk hat darum auch Sympathien für die Generation Z. „Wir sind in Deutschland sehr konditioniert, uns von der Arbeit viel gefallen zu lassen“, sagt der Publizist. Das Land sei noch immer geprägt von der protestantischen Arbeitsethik. Darum habe er Verständnis dafür, dass junge Leute heute misstrauisch seien, wenn Chefs dauernde Erreichbarkeit verlangten und ihnen einreden wollten, sie wollten das selbst so. „Ich finde es heilsam, ab und zu über das eigene Verhältnis zur Arbeit nachzudenken“, sagt Denk. Aus seinem Selbstversuch hat er kein Hobby übrig behalten, aber sein Leben grundsätzlicher verändert. Er ist heute Freiberufler und verbringt einen Teil seiner Zeit in Italien.

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