Atomkraft für morgen Das Comeback der Kernenergie

Düsseldorf (RPO). Die Kernenergie steht weltweit vor einem Comeback. Bisher bleibt Deutschland bei seinem Ausstiegsbeschluss. Dabei steckt im neuesten Reaktortyp EPR jede Menge deutsche Technik.

Die Luft in Flamanville riecht nach Salz und Seetang, das Meer ist nur einen Steinwurf entfernt. Aber die Techniker von Frankreichs Stromkonzern EDF interessieren sich nur für das Kühlwasser, das an der normannischen Küste in unbegrenzter Menge zur Verfügung steht. Deswegen wurden hier in den 80er Jahren schon zwei Reaktorblöcke errichtet, und deswegen wird hier jetzt auch noch ein dritter gebaut, ein "EPR".

Das Kürzel steht für "Europäischer Druckwasserreaktor", den zur Zeit weltweit modernste Typ, den die Atomindustrie im Angebot hat. Erst diese Woche hat Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy verkündet, dass sein Land in Kürze auch noch einen weiteren Atommeiler dieser "dritten Generation" hochziehen will. Was er bei dieser Gelegenheit nicht erwähnte: Im EPR, auf den die französischen Ingenieure so stolz sind, steckt auch jede Menge deutsches Knowhow.

Der EPR ist eine Gemeinschaftsentwicklung von Siemens und der heute zu Frankreichs Nuklearkonzern Areva gehörenden Framatome. Der Münchener Konzern hält weiter 34 Prozent der Anteile am gemeinsamen Konsortium Areva NP. Paradox: Während in Deutschland die Atomkraftwerke nach und nach abgeschaltet werden sollen, sitzen die Deutschen indirekt mit im Boot, wenn die Kernkraft wie von vielen Experten erwartet in den kommenden Jahren einen weltweiten Boom erleben wird.

Genau dafür wurde der EPR geplant. Es handelt sich um eine Weiterentwicklung deutscher und französischer Druckwasserreaktoren. Der Reaktor soll 17 Prozent weniger Uran verbrauchen, weniger Müll produzieren und gleichzeitig 36 Prozent mehr Strom erzeugen als bisherige Meiler. Die Anlage in Flamanville hat eine Leistung von 1650 Megawatt, die meisten der bisher rund um den Globus betriebenen Anlagen kommen nicht über 1000 Megawatt.

Besonderes Augenmerk wurde beim EPR auf die Sicherheit gelegt. Die Kühlsysteme sind gleich vierfach vorhanden und bei einem Reaktorunfall voneinander getrennt funktionsfähig. Wenn alles versagt, rettet eine riesige Keramikwanne unter dem Reaktordruckbehälter. Sie soll im Fall eines GAUs den geschmolzenen Kern auffangen. "Core Catcher" heißt das im Forschungszentrum Karlsruhe entwickelte Konstrukt, das von den Technikern auch flapsig "Aschenbecher" genannt wird.

In ihn würde das über 2500 Grad heiße Gemisch fließen, zunächst auf eine Rutsche und von da aus auf eine hochtemperaturfeste Fläche. Dabei schiebt die glühende Masse einen Flutbehälter auf, so dass Wasser selbsttätig ausströmen kann, um die dünne, erstarrende Schicht zu kühlen.

Ein Kühlwasser-Spraysystem soll gleichzeitig die Bildung gefährlicher Hochdruck-Dampfwolken verhindern, die zu verheerenden Explosionen führen könnten. Eine doppelte Schutzhülle aus Stahlbeton mit einer Gesamtdicke von 2,6 Metern umgibt den Reaktor nach außen. Die Luft im Zwischenraum wird ständig abgesaugt und gefiltert. Gegen Katastrophen wie in Tschernobyl 1986 oder den Beinahe-GAU im amerikanischen Harrisburg 1979 wäre der EPR damit gewappnet.

Zehnmal geringer, so versprechen seine Erbauer, sei das Risiko einer Kernschmelze bei einem EPR als bei einem Reaktor einer früheren Baureihe. Aber, das räumen sie ein, ein revolutionärer Reaktortyp ist der EPR nicht, lediglich ein optimierter.

Deswegen wird schon jetzt, bevor noch die ersten Meiler der dritten Generation ans Netz gegangen sind, an der vierten Generation geforscht. Bei diesen Zukunftsreaktoren soll der GAU konstruktiv unmöglich sein. Seit 2001 untersuchen zehn Staaten, darunter neben Frankreich auch die USA, Brasilien, Großbritannien, die Schweiz und Südafrika gemeinsam sechs ausgewählte Konzepte: Schnelle Brüter mit praktisch geschlossenem Brennstoffkreislauf, die entweder mit Salz, Blei, Natrium oder Helium gekühlt werden könnten, sowie Hochtemperaturreaktoren.

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