Europa am Niederrhein

Das Preußen-Museum Wesel ist Geschichte. An seine Stelle ist das Niederrheinmuseum getreten. Auftrag ist, grenzüberschreitende Identifikation zu stiften.

Nach zweieinhalb Jahren Stillstand ist in Wesel das neue Niederrheinmuseum gestartet. Im historischen Komplex der Zitadelle hat es die Nachfolge des Preußen-Museums angetreten. Gut fünf Millionen Euro sind in Sanierung und Umbau investiert worden. Unter dem Dach des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) ist eine neue Konzeption entstanden, die den Kulturraum Niederrhein grenzüberschreitend in den Mittelpunkt stellt. "Wesel und die Niederrheinlande" ist die erste Schau mit rund 350 Exponaten überschrieben; die Dauerausstellung folgt 2020/2021.

Der Einstieg Das Museum baut bewusst auf einen populärwissenschaftlichen Ansatz. Es ist eine Botschaft an die Niederrheiner, dass sich das Haus nicht nur an ein Spezialpublikum richten will, sondern die ganze Familie einlädt. Ein kreisrundes, dreidimensionales Großpanorama zeigt zum Start, wie schön der Große Markt in Wesel im 16. Jahrhundert gewesen ist. Der Betrachter steht in der Mitte. Er hört einem Erzähler zu. Dabei fällt sein Blick auf den prägenden Willibrordi-Dom und die erst in jüngster Zeit an seiner Seite rekonstruierte Rathausfassade. Auch alle anderen Gebäude vermitteln den Bürgerstolz aus der Blütezeit der Hansestadt. In spätmittelalterlichen Gewändern sind heutige Weseler Lokalprominente zu sehen, die historisch belegte Szenen nachstellen. Sie erzählen Geschichten über die Kunst, den Glauben, den Handel und nicht zuletzt den Austausch zwischen den Menschen vom Niederrhein, aus den Niederlanden, Flandern, Brabant und darüber hinaus. Das Panorama fokussiert den Blick auf ein Stück Europa vor aus der Zeit vor dem Aufkommen der Nationalstaaten. Beim anschließenden Rundgang vertiefen Karten, Gemälde, Plastiken, Möbel und Dokumente die Wechselbeziehungen.

Idealtypische Stücke Zu den besonderen Exponaten gehört eine Madonna aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Sie ist aus Baumberger Sandstein gehauen, für den Wesel am Zusammenfluss von Rhein und Lippe der Hauptumschlagplatz war. Die Stadt verdiente damit enorm viel Geld. Künstler Heinrich Blanckebiel, der auch die spätgotische Weseler Rathausfassade bebilderte, schuf die Skulptur. Sie könnte jener Madonna aus seiner Hand nahe kommen, die zum ersten Figurenprogramm des Rathauses gehört hatte. Starke Faszination geht auch von einem Kreuzigungsrelief mit Zisterzienserinnen aus Kloster Graefenthal aus, das rund 100 Jahre später, um 1530, ebenfalls aus Baumberger Sandstein gefertigt wurde. An diesem Werk aus St. Vincentius Asperden lässt sich gleichfalls viel erzählen. Über Frauenfrömmigkeit zum Beispiel. Porträts aus der Familie van de Wall/von Weiler aus dem 17. und 18. Jahrhundert und ein Chanukka-Leuchter aus dem Besitz des letzen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Kleve, David Weyl (1873-1945), schlagen Brücken in die jüngere Vergangenheit.

Besucherfreundlichkeit Wie beim Landschaftsverband Rheinland üblich, so wurde auch das Weseler Museum aufwendig barrierefrei gestaltet. Es gibt ein taktiles Leitsystem für Sehbehinderte, das bereits vor der Tür beginnt. Es gibt Türen mit selbstöffnender Annäherungselektronik für Rollstuhlfahrer. Es gibt Induktionsschleifen im Kassenbereich für gehörlose Gäste. Zusätzliche zweite Handläufe, Stufenmarkierungen und ein Bedientableau im Aufzug gehören zum Paket. Folgen wird ein Gebäudemodell zur Orientierung per Berührung für Sehbehinderte.

Preise und Öffnungszeiten Im Niederrheinmuseum Wesel ist wie in allen Häusern des LVR am ersten Freitag des Monats der Eintritt frei. Erwachsene zahlen 4,50 Euro (ermäßigt 3,50), Familien sind mit acht Euro dabei. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben freien Eintritt. In Gruppen ab zehn Personen zahlen Erwachsene pro Kopf vier Euro, Schüler nichts. Für Führungen größerer Gruppen gibt es je nach Teilnehmerzahl, Alter und Wochentag gestaffelte Preise. Auch Fremdsprachenführungen können gebucht werden. Geöffnet ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr.

Programm "Wesel und die Niederrheinlande - Schätze die Geschichte(n) erzählen" wird bis 14. Oktober gezeigt. Als Sonderausstellung ist vom 14. April bis zum 16. September "Hin & Weg - 200 Jahre Fahrradgeschichte am Niederrhein" zu sehen.

Gebäude Domizil des Niederrheinmuseums ist das Körnermagazin der Zitadelle. Dieses Hauptwerk der Weseler Festung wurde ab 1687 errichtet und weckte wegen seiner strategisch wichtigen Lage Begehrlichkeiten bei führenden Herrschern. Auf Drängen der mit dem Kurfürsten von Brandenburg verbündeten Niederlande sollte es als Nachschubbasis dienen, war zu Beginn die stärkste aller brandenburgisch-preußischen Festungen. Die Zitadelle beherbergt heute unter anderem die Musik- und Kunstschule der Stadt, eine Papierrestaurierwerkstatt, das Stadtarchiv, das Schill-Museum, die Hansegilde, Künstlerateliers und ein Trauzimmer des Standesamtes.

Info LVR-Niederrheinmuseum, An der Zitadelle 14-20, Wesel, Telefon 0281 33996 320, niederrheinmuseum-wesel.lvr.de

(fws)
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