Düsseldorf Dreimal Deutschland mit Armin Mueller-Stahl

Düsseldorf · Er hat die Nazi-Zeit erlebt, in der DDR Karriere gemacht, dann im Westen. In seiner Autobiografie erzählt er deutsche Geschichte.

Er verkörpert den Typus des gebildeten Deutschen, der sich auskennt in Literatur und klassischer Musik, mit anspruchsvoller Liebhaberei seine Talente als Dichter und Maler pflegt und mit feinem Lächeln von den nicht ganz harmlosen Streichen seiner Jugend erzählt. Mit der Ausstrahlung des feinen, selbstironischen Herrn ist Armin Mueller-Stahl einer der beliebtesten Schauspieler Deutschlands geworden, einer, der Persönlichkeiten wie Thomas Mann verkörpern kann, ohne dass das unangemessen wirken würde. Einer, der es auch in Hollywood geschafft hat, sogar als er noch kaum Englisch sprach.

Vielleicht liegt es auch an seinem Lebensweg, dass Armin Mueller-Stahl, der Junge aus Ostpreußen, etwas verkörpert, das mit dem Selbstbild der Deutschen zu tun hat. Er hat deutsche Geschichte durchlebt und erlitten.

Als drittes von fünf Kindern wurde er 1930 im ostpreußischen Tilsit geboren. Sein Vater war Bankbeamter, im Herzen jedoch ein Künstler, der gern Theater spielte, musizierte und seinen Kindern die Freiheit - und das Selbstbewusstsein - gab, selbst ihren musischen Ambitionen nachzugehen. Armin lernte Geige, erlebte das, was Menschen später ihre "unbeschwerte Kindheit" nennen. Bis der Zweite Weltkrieg begann.

Der Vater wurde eingezogen zur Wehrmacht. Er starb 1945 in einem Lazarett im mecklenburgischen Schönberg. Die Familie verließ die ostpreußische Idylle Richtung Berlin, musste nach dem Krieg, in den Ruinen des zerbombten Prenzlau, neu beginnen.

In seiner Autobiografie "Dreimal Deutschland und zurück" erzählt Armin Mueller-Stahl in Anekdoten aus dieser Zeit, beschreibt sich selbst als Lausejungen, der nicht verstand, was politisch geschah im ersten Deutschland, in das er geboren wurde und das sich zum Nazi-Deutschland entwickelte.

Die Mutter wird zum Halt der Familie in jenen Jahren, und Mueller-Stahl schreibt mit großer Wärme von ihr. Ihre Fröhlichkeit, ihr Sprachentalent und vor allem ihr Gottvertrauen habe sie alle über Wasser gehalten: "Es hielt uns aufrecht und am Leben", schreibt Mueller-Stahl, "ich fühlte mich wirklich aufgehoben in einer besonders wunderbaren Familie mit viel Kraft. Diese Kraft kam durchs Gebet, und wir waren sehr, sehr fromm."

Diese Frömmigkeit ist Mueller-Stahl später abhanden gekommen auf seinem Weg in das zweite Deutschland, die DDR, in der Religion als Opium für das Volk galt.

Der junge Mann studierte zunächst am Städtischen Konservatorium in Berlin, wohnte beim Bruder Hagen, der Schauspieler und Regisseur werden sollte, und genoss all die Freiheiten des Studentenlebens, machte Erfahrungen mit der Liebe und dem Gebundensein. Wurde davon noch kein bisschen weise.

1949 legte der ehrgeizige Draufgänger, der immer auch etwas Grüblerisches hatte, das Musiklehrer-Examen ab. Doch durch die Kontakte seines Bruders in die Schauspielszene packte auch Armin die Lust an der Darstellerei. Ein Versuch an der Schauspielschule in Berlin blieb zwar Episode, doch brachte ein Vorsprechen bei Helene Weigel ihn 1952 direkt ans Ziel: Er bekam sein erstes Engagement am Berliner Theater am Schiffbauerdamm.

Amüsant erzählt Mueller-Stahl, wie er später, als er in den Westen ging, voll Ehrfurcht die ersten Filme drehte und bemerkte, dass West-Schauspieler keineswegs besser ausgebildet waren als er selbst. Im Gegenteil, die West-Kollegen waren eitler, aber schlechter vorbereitet als er und beglückwünschten ihn sogar zu seiner vermeintlich solideren Ausbildung - obwohl er doch durch das Tun Schauspieler geworden war. Falls das nicht ohnehin eine Frage des Seins ist.

Es sind solche Episoden, die Mueller-Stahls Erinnerungen lesenswert machen. Dabei stört das Sprunghafte seines Stils keineswegs. Mueller-Stahl schreibt, wie sich Menschen erinnern: höchst subjektiv, geleitet von Assoziationen, angeregt von Menschen, denen er begegnet ist. Seinen Jahren als Theater- und Fernsehstar in der DDR räumt er breiten Raum ein, erzählt von Kollegen wie Manfred Krug, der stürmischer, verrückter, trotziger war als er selbst und ihn deswegen immer wieder aufzog. Noch heute scheint das Mueller-Stahl zu treffen, denn wie zur Verteidigung charakterisiert er sich selbst als Grübler, als "Hamlet". "Der Nachdenkliche, der manchmal Zögerliche, das bin auch ich", schreibt er. "Mir haben immer die Menschen besser gefallen, die in bestimmten kritischen Momenten ihres Lebens eine gewisse Ratlosigkeit hatten." Darum schreibt er noch heute voll Ehrfurcht über Künstler in der DDR, die Kommunisten waren, für ihre Überzeugungen im KZ gelitten hatten. Mit selbstsicheren Charakteren wie dem Regisseur Benno Besson, der 1969 an die Volksbühne kam, kann er bis heute wenig anfangen. Er hat sich verwurzelt gefühlt in diesem Land, wusste, dass sein Publikum ihn schätzte. Und er genoss manches Privileg als geschätzter Künstler, verdiente gut, hatte ein Auto, ein Haus am See.

In der DDR lernte er auch die Frau kennen, mit der er bis heute verheiratet ist, Gabi, eine Hautärztin und unsentimentale Analytikerin, die bereit war, mit ihrem Mann in den Westen aufzubrechen, erst in die BRD, dann noch weiter bis nach Hollywood, die sich aber nicht korrumpieren ließ vom größeren Luxus jenseits der Mauer, der doch auch Konsumismus bedeutete und den Zwang des Einzelnen, sich anzupreisen. Als Schauspieler besonders.

Auch aufgrund des Rückhalts durch seine Frau nahm Mueller-Stahl nicht jede Rolle an, als er 1980 in den Westen ging. Er hatte den Aufruf gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann unterschrieben und war daraufhin bei den Machthabern der DDR in Ungnade gefallen. Im Westen ging seine Karriere gleich weiter, das ZDF verschaffte ihm die erste Rolle, Angebote, etwa für die Serien "Schwarzwaldklinik" und "Der Alte" folgten. Doch Mueller-Stahl interessierte sich für Autorenfilmemacher wie Fassbinder, Achternbusch, Kluge, drehte später mit Heinrich Breloer jenes Fernsehspiel, das ihn zu Thomas Mann machte.

In der BRD bekam Mueller-Stahl die Freiheit, nach der er sich gesehnt hatte, aber er blieb - wie Biermann ein "in die Heimat Vertriebener" - einer, der in der Lübecker Bucht ein Zuhause fand, und doch das Gefühl hatte, dabeizusein, aber nicht dazuzugehören. Darum fiel es ihm leicht, auch den Schritt nach Hollywood zu wagen, als knapp 60-Jähriger - eigentlich aussichtslos. Und doch drehte er dort mit Größen wie Tom Hanks, hat bis heute einen Wohnsitz in Kalifornien.

"Geschichte und Politik haben mein Leben geprägt - obwohl ich immer ein unpolitischer Mensch gewesen bin", resümiert Mueller-Stahl am Ende seines Buches, "aber die Zeit und das Land ließen es nicht zu, dass ich unpolitisch blieb." Vielleicht fühlen sich ihm die Deutschen auch deswegen so nahe.

(RP)
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