Fossilien Der wandernde Kaktus aus China

London (RPO). Ein deutsch-chinesisches Forscherteam hat einen äußerst skurril aussehenden Urahnen der Insekten, Spinnen und Krebse entdeckt: In der Chengjiang Fossil-Lagerstätte im Südwesten Chinas fanden die Wissenschaftler die Fossilien eines Tieres, das sechs Zentimeter lang war und wahrscheinlich vor etwa 500 Millionen Jahren lebte. Es wies sowohl Merkmale von heute lebenden Stummelfüßern - weichen Würmern mit Beinen - als auch von hartschaligen Gliederfüßern auf, zu denen unter anderem die Krebstiere und die Insekten zählen.

 Die Rekonstruktion zeigt das mutmaßliche Aussehens des Lobopoden Diania cactiformis, auch als "wandernder Kaktus" bezeichnet, der vor über 500 Millionen Jahren im heutigen China lebte.

Die Rekonstruktion zeigt das mutmaßliche Aussehens des Lobopoden Diania cactiformis, auch als "wandernder Kaktus" bezeichnet, der vor über 500 Millionen Jahren im heutigen China lebte.

Foto: dapd, dapd

Der Wurm mit den stachligen Beinen erinnerte die Wissenschaftler an einen "wandernden Kaktus", weshalb sie ihn auf den Namen Diania cactiformis tauften. Das Fossil ist der erste Fund, der darauf hinweist, dass die heute weltweit verbreiteten Arthropoden - die Gliederfüßer - von den mittlerweile eher seltenen Stummelfüßern abstammen. Über ihre Forschungsergebnisse berichten die Wissenschaftler um Jianni Liu von der Freien Universität Berlin im Fachjournal "Nature" (doi: 10.1038/nature09704).

Die Chengjiang Fossil-Lagerstätte im südwestlichen China gilt als die älteste Fundstelle von Fossilien, in der auch Tiere mit weichen Körpern erhalten sind. Ihr Alter wird auf etwa 500 Millionen Jahre geschätzt, und sie bildete sich kurz nach der sogenannten kambrischen Explosion, als viele neue Tier- und Pflanzenarten entstanden. Genau zu dieser Zeit lebte auch das zu den sogenannten Lobopoden gehörende Tier, dessen Fossilien die Wissenschaftler jetzt untersuchten. "Lobopoden sind die Vorfahren der Stummelfüßer", erläutert Michael Steiner, einer der beteiligten Wissenschaftler. Diese lassen sich vereinfacht auch als Würmer mit Beinen beschreiben. Sie leben heute noch in feuchten Regionen der Südhalbkugel.

Tier zwischen zwei Welten

Die Forscher fanden insgesamt 35 versteinerte Überreste von Vertretern dieser Urtiere. Bei zwei Fundstücken war sogar das komplette Tier erhalten. Diese beiden Fossilien untersuchten die Wissenschaftler genauer und fanden dabei heraus, dass das Wesen sowohl Merkmale von Stummel- als auch von Gliederfüßern besaß: Während der wurmartige Körper an einen Stummelfüßer erinnert, ähneln die harten, stachligen Beine eher denen von Arthropoden. "Das Tier war wie eine Sphinx", verdeutlicht Steiner.

Die Forscher speisten dann die Daten in einen Computer ein und verglichen sie mit denen anderer Spezies. Ergebnis der Studie: Arthropoden stammen vermutlich von Stummelfüßern ab. "Bisher war nicht genau klar, wie die Arthropoden entstanden sind", erläutert der Forscher. Der Fund sei damit der erste Hinweis, der konkret helfe, die Entstehungsgeschichte der Gliederfüßer aufzuklären. Heute gibt es von ihnen weltweit über 100 Millionen Arten, wohingegen die Stummelfüßer mit gerade einmal 100 Arten eher zu den seltenen Tieren zählen. Offenbar, so vermutet Steiner, war die harte Schale der Arthropoden das Erfolgsgeheimnis der robusten Tiere.

(DDP/felt)
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