Karl Prinz Zu Löwenstein "Der Schenkende ist letztlich der Beschenkte"

Karl Prinz zu Löwenstein, Geschäftsführer des Malteser-Hilfsdienstes, über das Ehrenamt und die Einsamkeit in der Gesellschaft.

In diesem Jahr feiern die Malteser 900 Jahre Ordensgeschichte und 60 Jahre Malteser Hilfsdienst. Wie eng ist der Hilfsdienst noch mit der Ordensgeschichte verbunden?

Karl Prinz zu Löwenstein Sehr eng. Der Malteser Hilfsdienst mit den ambulanten Diensten und die Malteser Werke Deutschland mit Krankenhäusern und Einrichtungen der Altenhilfe sind unmittelbare Werke des Malteserordens. Der Orden ist mit etwa 250 Mitgliedern in den Werken aktiv und präsent.

Wie kompensieren Sie den Verlust der Zivildienstleistenden?

Löwenstein Wir hatten Mitte der 1990er Jahre noch 5000 Zivis, als der Zivildienst aufhörte, hatten wir etwa 500 Helfer im freiwilligen sozialen Jahr. Jetzt haben wir aber noch etwas über 1000 Freiwillige im Bundesfreiwilligendienst und im freiwilligen sozialen Jahr. Insofern sind die kritischen Dienste noch möglich.

Welche sind diese kritischen Dienste?

Löwenstein Zum Beispiel die individuelle Schwerstbehindertenbetreuung.

Wollen Sie noch mehr Menschen fürs Ehrenamt gewinnen?

Löwenstein Wir haben 48 000 Ehrenamtliche im Malteser Hilfsdienst, und wir wachsen stark im Ehrenamtsbereich. Aber die Leute kommen heute mit einer genauen Vorstellung, sie wollen für eine spezifische Aufgabe eingesetzt werden.

Zum Beispiel?

Löwenstein Zum Beispiel im Besuchs- und Begleitdienst für alte und erkrankte Menschen. Auch Katastrophenschutz und Erste Hilfe sind nach wie vor sehr beliebt.

Wie viel Zeit muss ein Mensch mitbringen, wenn er sich fürs Ehrenamt interessiert?

Löwenstein Eine Stunde in der Woche oder eine Stunde im Monat ist schon ausreichend. Das Rückgrat aber bilden die, die sich darüber hinaus einbringen – manche bis zu 40 Stunden im Monat.

Wie wichtig ist die Verlässlichkeit?

Löwenstein Sehr wichtig, sonst braucht man gar nicht erst anzufangen. Gleichzeitig ist die Verlässlichkeit auch das, was Zufriedenheit auslöst – auf beiden Seiten. Die Zufriedenheit bei demjenigen, dem etwas zugute kommt, schlägt zurück. Das ist die schöne Erfahrung: Dass der Schenkende letztlich der Beschenkte ist. Und wenn man einmal diese Erfahrung gemacht hat, dann wird man zum Überzeugungstäter.

Wie erklären Sie heute jemandem modernes Samaritertum?

Löwenstein Man muss die Erfahrung machen, dass man selber davon profitiert. Bei jungen Leuten, die ins Arbeitsleben einsteigen, ist das oft schwer. Bei älteren Menschen finden wir leichter Zuspruch, es gibt ja keinen Grund, warum nicht ein 80-Jähriger einen 90-Jährigen betreuen soll. Es gibt Studien, die nachweisen, dass der Mensch, der sich für andere engagiert, im Alter länger geistig fit bleibt.

Gibt es solch alte Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren?

Löwenstein Ja – meist im Besuchs- und Betreuungsdienst. Bedingt durch unsere demografische Entwicklung leben immer mehr Menschen ganz allein. Einsamkeit ist ein riesiges Thema. Wir bekommen etwa 1,2 Millionen Notrufe im Jahr, zwei Drittel davon sind keine echten Notrufe, sondern soziale, seelische Notrufe. Diese Menschen wollen eine menschliche Stimme hören.

Wie reagiert ein Malteser in dieser Situation am Telefon?

Löwenstein Jeder versucht darauf einzugehen. Oder er leitet weiter an den Malteserruf. Wir vernetzen die Notrufe miteinander. Ähnlich ist es im Menü-Service, was früher ,Essen auf Rädern' hieß. Da erleben Sie, wenn das Essen eine Viertelstunde zu spät kommt, dass die Leute anrufen und fragen, wo das Essen bleibt. Das tun sie ja nicht, weil sie am Verhungern sind, sondern weil es oft der einzige soziale Kontakt am Tag ist, auf den sie warten.

Was heißt das für unsere Gesellschaft?

Löwenstein Es gibt eine Statistik hier in Köln, nach der jeden Monat in Köln 50 Menschen sterben, ohne dass es jemand merkt. Wenn es ans Sterben geht, ist ein besonderer Bedarf da, mit jemandem reden zu können. Und dann ist niemand da. Die Menschen sterben vor sich hin. Die Nachbarschaft merkt es erst, weil es im Hausflur stinkt. Da sieht man, was Einsamkeit bedeutet!

Nach welchen Prioritäten setzen Sie die Mittel ein?

Löwenstein Ohne zu werten, sind es Hospizdienste, der Katastrophenschutz im In- und Ausland, die Besuchs- und Begleitdienste mit Schwerpunkt auf dementiellen Erkrankungen. Interessanterweise sind alles ehrenamtliche Dienste.

Und wieso kostet das dann soviel?

Löwenstein Der Ehrenamtliche muss ausgebildet sein. Die Ausbildung ist ganz erheblich, gerade im Katastrophenschutz. Diese Abteilung ist zu 99,9 Prozent in Bereitschaft, nur zu 0,1 Prozent im Einsatz. In den 99, 9 Prozent müssen die Helfer aber exzellent ausgebildet sein. Denn wenn die 0,1 Prozent eintreten, dann muss es laufen wie am Schnürchen. Dafür brauchen Sie eine aufwendige Struktur und funktionierendes Material.

Noch eine persönliche Frage an Sie: Was haben Sie in Ihrem Leben einmal als Malteser getan, auf das Sie stolz sind?

Löwenstein Ich habe behinderte und kranke Menschen auf Wallfahrten nach Lourdes begleitet. Da geht es darum, Ärmel hochzukrempeln und zu pflegen. Endlos Zeit mitzubringen für diese Menschen, für die sonst nie jemand Zeit hat. Ich habe in Lourdes glauben und beten gelernt von diesen Menschen. Man würde ja denken, dass die an der Ungerechtigkeit des Lebens verzweifeln. Das Gegenteil ist der Fall: Sie erleben ein Gottvertrauen und eine Art, zu beten, die einen aufbaut.

Das passt zu Ihrer Losung : Weil Nähe zählt.

Löwenstein Wir wollen Menschen konkret helfen, da sein, wo sie sind. Wo Not ist, ist die menschliche Nähe entscheidend. Die Nähe, die wir den Menschen schenken, schenken wir aus der Motivation der Nähe heraus, die Gott uns Menschen schenkt. Wir haben keinen Gott, der fern im Götterhimmel schwebt. Wir haben einen Gott, dem nichts fremd ist am Menschsein, der selber Mensch geworden ist. Und der uns auf vielfältige Weise ganz nah ist.

Sie wollen eine Ehrenamtsdienstorganisation sein. Zählt das mehr, wenn sich der Mensch wegen der Ehre einsetzt?

Löwenstein Heute macht es glaube ich keiner mehr wegen der Ehre.

Eigentlich schade, wenn auch das Wort altertümlich erscheint, so kann man doch sagen, wer hilft, kann sich sehen lassen....

Löwenstein Wahrscheinlich haben Sie Recht. Nicht für Geld, aber um der Ehre willen, setzen sich die Menschen ein. Bei uns gilt das Prinzip der Subsidiarität. Das Hauptamt ist dafür da, das Ehrenamt zu unterstützen. Und nicht umgekehrt. Und zwar nicht deshalb, weil das Ehrenamt kostenlos ist, sondern weil es letztlich zum christlichen Auftrag gehört. Ohne Werke der Caritas ist Kirche nicht Kirche. So etwas kann man nicht an Hauptamtliche delegieren. Es ist Auftrag jedes Christenmenschen, karitativ tätig zu sein. Das Entscheidende an unserer Arbeit ist nicht die Professionalität, sondern die Herzensbildung.

ANNETTE BOSETTI FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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