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Jährlich bleiben bis zu 1.200 Tötungsdelikte unentdeckt Der perfekte Mord ist gar nicht so selten

Köln (rpo). Ist der "perfekte Mord" ein Mythos, eine Erfindung von Krimi-Autoren? Nein, behauptet der Bonner Rechtsmediziners Burkhard Madea. Denn allein in Deutschland bleiben jährlich 1.200 Tötungsdelikte unentdeckt.

<P>Köln (rpo). Ist der "perfekte Mord" ein Mythos, eine Erfindung von Krimi-Autoren? Nein, behauptet der Bonner Rechtsmediziners Burkhard Madea. Denn allein in Deutschland bleiben jährlich 1.200 Tötungsdelikte unentdeckt.

Schuld daran sind gravierende Mängel in der ärztlichen Leichenschau. Zu schnell kreuzen Mediziner auf dem amtlichen Schein das Kästchen "natürlicher Tod" an - teils aus Unerfahrenheit, teils aus Überforderung, aber manchmal offenbar auch auf Druck von Polizei und Staatsanwaltschaft, die nach Auskunft von betroffenen Ärzten in unklaren Fällen nicht immer Interesse an kostspieligen Obduktionen und Ermittlungen haben.

Als Hauptverantwortliche für die laut Madea "seit Jahrzehnten bekannten Missstände" hat die Ärzteschaft aber die Bundesländer ausgemacht, in deren Zuständigkeit die Regelungen für die Feststellung des Todes, des Todeszeitpunkts und der Todesursache fallen.

Uneinheitliche Regelung

Alle Bemühungen um bundeseinheitliche Richtlinien blieben bislang vergeblich. Eine Reihe von Ländern haben die Leichenschau längst in speziellen Gesetzen über das Leichen-, Friedhofs- und Bestattungswesen geregelt, anderswo gibt es dagegen lediglich Verordnungen im Polizei- und Ordnungsrecht.

Ergebnis dieser Regelungsvielfalt sind nicht nur je nach Bundesland unterschiedliche Angaben auf den Totenscheinen, sondern auch unterschiedliche Anforderungen an den Ablauf der Leichenschau.

In einigen Ländern etwa sind die Ärzte ausdrücklich verpflichtet, den Toten für die Feststellung der Todesursache vollständig zu entkleiden, in anderen wird lediglich allgemein eine sorgfältige Untersuchung verlangt. Und nicht einmal in der Frage, was eine Leiche ist, gibt es Einigkeit: In Sachsen-Anhalt etwa gilt im Gegensatz zu den anderen Bundesländern bereits das bloße Skelett eines Menschen als Leiche.

"Erarbeitung immer neuer Formulare"

Auf Kritik von Medizinern, Statistikern und Ermittlungsbehörden an diesen Zuständen sei bislang nur "mit der Erarbeitung immer neuer Leichenschauformulare, Bestattungsgesetze und Leichenschauverordnungen reagiert" worden, beklagt Madea auf einem Fortbildungsforum der Bundesärztekammer in Köln.

Doch auch der Bonner Professor glaubt nach eigenen Worten nicht, dass eine bundeseinheitliche Regelung alleine verhindern könnte, dass weiterhin in 20 bis 50 Prozent der Fälle die Todesursachen falsch eingeschätzt werden.

"Sorglosigkeit und Bequemlichkeit"

Studien zufolge attestieren 30 Prozent der Klinikärzte selbst bei Gewalteinwirkung, Vergiftungen, Suizid oder Behandlungsfehlern einen natürlichen Tod. Am größten ist die Dunkelziffer von Fehldiagnosen nach Angaben Madeas aber bei Leichenschauen, die von niedergelassenen Ärzten in der Wohnung des Verstorbenen vorgenommen werden.

Hauptfehlerquellen seien hier "Unerfahrenheit, Sorglosigkeit und Bequemlichkeit des Arztes sowie falsch verstandene Rücksichtnahme auf Angehörige". Gerade Hausärzte sollten jedoch daran denken, dass die Mehrzahl der Tötungsdelikte vom sozialen Umfeld der Opfer begangen werde, verlangt der Experte.

Manche Mediziner fühlen sich aber auch von den Behörden im Stich gelassen oder sogar genötigt, wenn sich die Todesursache nicht sofort klären lässt. Immer wieder drängten Staatsanwälte und Polizisten dazu, in solchen Zweifelsfällen eher einen natürlichen Tod zu bezeugen, berichtet der Präsident der niedersächsischen Landesärztekammer, Hayo Eckel: "Dieser Druck ist bei unklaren Todesursachen gang und gäbe."

Fehlendes Interesse aus Kostengründen

Wenn keine eindeutigen Hinweise auf ein Gewaltdelikt vorlägen, seien die Justizbehörden an einer gründlichen Abklärung aus Kostengründen meist nicht interessiert. Doch die Ärzte müssten sich darüber hinwegsetzen, fordert der Göttinger Professor.

Auch der Kölner Rechtsmediziner Markus Rothschild appelliert eindringlich an seine Kollegen, die Leichenschau unabhängig von allen äußeren Einflüssen mit der nötigen Sorgfalt durchzuführen. Schließlich sei dies der letzte Dienst, den ein Arzt am Menschen durchführen könne.

Jeder Mediziner müsse sich darüber im Klaren sein, was für eine wichtige Funktion er damit übernehme, sagt Rothschild: "Letztlich ist der Leichenschauschein ein unscheinbares, formales Instrument für den perfekten Mord."

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