Jürgen Habermas wird 80 Der meistzitierte Philosoph der Gegenwart

Düsseldorf (RP). Er ist der meistzitierte Philosoph der Gegenwart: Jürgen Habermas, der vor 80 Jahren in Düsseldorf geboren wurde. Obwohl er der große Denker der Moderne ist, sieht er in der Religion einen nach wie vor wichtigen Impuls für die ethische Selbstfindung des Menschen.

 Jürgen Habermas feiert am 18. Juni 2009 seinen 80. Geburtstag.

Jürgen Habermas feiert am 18. Juni 2009 seinen 80. Geburtstag.

Foto: ddp, ddp

Wozu eigentlich noch Philosophie? Diese ketzerische Frage hat Jürgen Habermas uns und vor allem sich selbst gestellt. Denn niemals — so sein Befund von 1971 — habe sie wirklich die Massen erreichen können. Und einmal ins Grübeln geraten, räumte Habermas damals mit wenigen Sätzen gleich die großen Denker seiner Zeit ab: Jaspers Tod? Spurenlos. Bloch? Bestenfalls ein Fall für Theologen. Adorno? Hinterließ ein chaotisches Gelände. Und Heideggers 80. Geburtstag? Bloß ein privates Ereignis.

Nun wird Jürgen Habermas am Donnerstag selbst 80 Jahre alt; doch kann von stiller Privatheit in seinem Fall nicht so sehr die Rede sein: Zwischen diversen, mehrbändigen Neuausgaben und fulminanten Tagungen zu Werk und Person fluten dieser Tage öffentliche Huldigungen sonder Zahl Richtung Starnberger See, dem Wohnsitz des Philosophen. Und wenn gar die "Zeit" pompös mit der "Weltmacht Habermas" titelt, so begleitet das die halbe Nation zwar augenzwinkernd, ernsthafter Einspruch aber regt sich nicht.

Nur das beste Argument zählt

Der Trubel irritiert und blendet. Zwar ist der in Düsseldorf geborene und im Bergischen aufgewachsene Habermas nachweislich der weltweit meistzitierte Philosoph und sein Einfluss auf die Denker aller Herren Länder enorm. Auch zielt der Kern seines Werks, die Theorie vom kommunikativen Handeln, vor allem auf die Praxis, bei der im herrschaftsfreien Dialog nur das bessere Argument besteht. Doch verbarrikadiert sich seine Philosophie zu oft hinter den Mauern von Begriffen, die der Theorie geschuldet sind. Selbst vielen Studenten soll das zu schwer gewesen sein. Ob er nicht unkomplizierter sprechen könnte, wurde einmal in einer Vorlesung gewünscht. Habermas versprach, sich zu bemühen, worauf ein anderer Teil der Studenten buhte. Und ihnen versicherte der Philosoph, dass er damit bestimmt scheitern werde.

Doch Habermas hat seinen eigenen Weg in die Öffentlichkeit gefunden, mit hunderten von journalistischen Beiträgen. Die Zeitung ist das Medium, in dem sein Denken alle Patina ablegt und ans Tagesaktuelle anschließt — an die Studentenbewegung 1968, die Wiedervereinigung, die Bioethik, Europa. Einer der ersten Beiträge aber galt dem schwierigen Vordenker, galt Martin Heidegger. Der Text geriet zur Abrechnung. So wurden die Vorlesungen Heideggers von 1935 knapp 20 Jahre später unkommentiert gedruckt. Tatsächlich war darin von der "inneren Wahrheit und Größe der NS-Bewegung" zu lesen. Habermas rebellierte, auch vor dem Versuch, den Mord an Millionen Menschen als eine Art "schicksalhafte Irre" irgendwie erklären zu wollen.

Das Thema wird Habermas durch sein Werk und sein Leben begleiten. Bis heute wirkt der "Historikerstreit" nach, den er gegen Ernst Nolte und gegen den Versuch führte, Vergangenes zu relativieren und auf diese Weise zu verharmlosen. Denn wer die Erinnerung füllt, der gewinnt in einem geschichtslosen Land die Zukunft. Das Dritte Reich und seine Verbrechen sind als Zivilisationsbruch seiner tiefen Überzeugung nach so unvergleichlich, dass die Erinnerung daran nicht verblassen darf. Und wie erbärmlich wirkt vor diesem aufklärerischen Auftrag jenes Scharmützel, das als Anekdote aus den Jugendjahren von Jürgen Habermas kurz erregten Eingang in die Wirklichkeit fand. So hatte die Ehefrau von Habermas in privater Runde ironisch erklärt, ihr Mann habe einen Zettel zerkaut und verschluckt, auf dem er als Hitlerjunge sich enthusiastisch über den Endsieg der Nazis geäußert haben soll.

Das löste einen peinlichen Disput aus — vor allem im Kontrast zu den großen Auseinandersetzungen. Eine ist der Moderne gewidmet, in der Habermas ein bis heute unfertiges Projekt sieht. Weil es ihn vor einer postmodernen, entzauberten Welt graust, in der der Mensch sich selbst herzustellen scheint. Es geht dabei nicht mehr um die Auseinandersetzung mit der Welt, sondern um die Erschaffung der Welt. Diese Angst bestimmt maßgeblich die bioethische Position von Habermas: Danach kann der Mensch nur dann eine eigene Identität bilden, wenn seine genetische Ausstattung dem Zufall überlassen bleibt. Jeder genetische Eingriff zieht den Verlust von Selbstverantwortung nach sich und macht den Menschen zum Ding.

Aber sind die Demokratien von heute, die Nationen in einer globalisierten Welt überhaupt in der Lage, aus eigener Kraft jene Sittlichkeit zu entwickeln, um der Versuchung zu widerstehen? Oder bedarf es einer anderen Kraft, die ihren Anspruch in einer säkularisierten Welt längst eingebüßt zu haben scheint? Jürgen Habermas hat sich immer wieder mit Theologen getroffen, gestritten, auseinandergesetzt. Und den berühmtesten Disput führte er vor fünf Jahren mit Kardinal Joseph Ratzinger, dem späteren Papst. Zwei Welten trafen aufeinander und profitierten voneinander. Denn in der Religion sieht Habermas eine bewährte Praxis in einer zu entgleisen drohenden Moderne; und in der religiösen Sprache einen wichtigen Impulsgeber der ethischen Selbstfindung.

Auch darum muss Habermas mit der Haltung des Verblüfften feststellen, dass sich einstweilen in der globalen Arena die Weltreligionen mit "unverminderter Vitalität" tummeln. Gott sei Dank — mit Geboten der Nächstenliebe etwa und der Achtung vor der Würde des Menschen. Das sind Glaubenswahrheiten, die mit der Moderne zwar konkurrieren — im Akt des kommunikativen Handelns aber einen Lernprozess in Gang halten könnte, der unerlässlich ist.

(RP)
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