Düsseldorf Der große Film-Tüftler Alain Resnais ist tot

Düsseldorf · Der Regisseur von "Letztes Jahr in Marienbad" starb 91-jährig in Paris. Er galt als Erneuerer der Filmsprache und arbeitete bis zuletzt.

Der Film, den Alain Resnais im vergangenen Jahr ins Kino brachte, trug den Titel "Ihr werdet euch noch wundern", und vielleicht eignet sich diese Drohung am besten, um die Karriere des Regisseurs zu beschreiben. Resnais war ein visueller Erneuerer, er suchte bis zuletzt nach dem innovativen Potenzial des Mediums. Und dass er sein Publikum tatsächlich mit jeder neuen Produktion verblüffen konnte, beweist die Tatsache, dass sein letzter Film "Aimer, Boire et Chanter" erst vor wenigen Wochen auf der Berlinale mit dem Alfred-Bauer-Preis ausgezeichnet wurde: Diese Ehrung ist laut Statut Produktionen vorbehalten, die neue Perspektiven der Filmkunst eröffnen.

Resnais zeigte seinen ersten Spielfilm 1959 bei den Festspielen in Cannes; es war "Hiroshima, mon amour". Die in der Gegenwart angesiedelte Liebesgeschichte nach dem Drehbuch von Marguerite Duras greift in Rückblenden und mittels aus dem Off gesprochener Monologe in die Zeit der Besatzung Frankreichs durch die Nazis und die atomare Bedrohung nach dem Krieg aus. Sie gilt heute als Klassiker. Parallel zu Resnais' Film wurde damals Francois Truffauts Debüt "Sie küssten und sie schlugen ihn" in Cannes aufgeführt, deshalb rechnet man Resnais zumeist der Nouvelle Vague zu. Resnais war indes knapp zehn Jahre älter als die jungen Wilden um Claude Chabrol, Eric Rohmer und Jean-Luc Godard. Und im Gegensatz zu ihnen kam er nicht von der Filmkritik, sondern hatte das Handwerk des Filmens gelernt. Er arbeitete als Cutter und Drehbuchautor, er produzierte Kurzfilme über van Gogh und Picasso, und 1955 drehte er den womöglich einflussreichsten Kurzfilm der Welt. Die Dokumentation "Nacht und Nebel" über die NS-Vernichtungslager wird heute noch in Schulen gezeigt, und wer je den Kameraschwenk auf die Kratzspuren an der Decke der Gaskammer in Auschwitz sah und die Erklärung hörte, die Menschen hätten sich im Todeskampf in den Stein gekrallt, wird diese Szenen nicht mehr vergessen.

Resnais war politischer als die Euphoriker um Truffaut, intellektueller. Er gehörte der Gruppe "Rive Gauche" an, zu der auch Autoren des Nouveau Roman zählten – Alain Robbe-Grillet etwa. Mit ihnen entwickelte er Drehbücher wie das zum Film "Letztes Jahr in Marienbad" (1961). Darin versucht ein Mann eine Frau zu überzeugen, dass sie einander in der Vergangenheit bereits getroffen haben. Die eigentlichen Hauptdarsteller aber sind Räume und Parkanlagen. Resnais baute Alptraumlandschaften und -architekturen von zeitloser Eleganz. Der Betrachter kann sich in ihnen nie sicher fühlen. Im Grunde ist der Film ein Essay über das Erinnern, über die Grenzen von Wahrnehmung und die Schwierigkeit, zwischen gut und böse zu unterscheiden.

Resnais verließ sich bei seinen Experimenten wie ein Compagnie-Chef zumeist auf ein festes Ensemble von Schauspielern, darunter seine spätere Ehefrau Sabine Azéma. Er wollte nie bloß Geschichten erzählen. Er war Formalist im besten Sinne, Stilist und Verhaltensforscher. Er teilte die Leinwand und ließ seine Darsteller aus nebeneinandergelegten Bildern miteinander kommunizieren. Er machte seinem Publikum stets die Künstlichkeit seiner Arrangements bewusst, und er zeigte ihm damit, dass es Wahrheit nicht gibt. Virtuos hat er das Verfahren in dem Film "Smoking/No Smoking" vorgeführt, mit dem der Avantgardist 1993 überraschend viele Menschen erreichte. Das Werk besteht aus zwei jeweils zweieinhalb Stunden langen Filmen, die man parallel gucken könnte. Beide beginnen gleich: Eine Frau tritt auf die Terrasse ihres Hauses und findet eine Schachtel Zigaretten. Sie zögert. In "Smoking" nimmt sie eine Zigarette und raucht, was zu Verwicklungen führt. In "No Smoking" raucht sie nicht, was dieselbe Geschichte in völlig andere Bahnen lenkt.

Man könnte sagen, dass populäre Hollywood-Filme wie die nicht-linear erzählten Epen "Babel" und "Syriana" mit ihren wilden Sprüngen durch Raum und Zeit nicht denkbar gewesen wären ohne Resnais. Nun ist der Tüftler unter den französischen Regisseuren in Paris gestorben. Er wurde 91 Jahre alt.

(RP)
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