Düsseldorf Das Museum - ein Auslaufmodell?

Düsseldorf · Deutsche Ausstellungshäuser halten sich viel auf ihre Wissenschaftlichkeit zugute - und vergessen dabei oft die Besucher.

Dies ist ein Test, mit dem man in jedem x-beliebigen Museum das Personal prüfen kann: Fragen Sie in einem der Säle die Aufsicht, in welcher Ecke des Gebäudes Sie Gemälde von - sagen wir mal - Sigmar Polke betrachten können. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden Sie zur Antwort bekommen: "Tut mir leid, ich bin den ersten Tag hier." Oder: "Fragen Sie doch bitte mal eine meiner Kolleginnen in den anderen Ausstellungsräumen." Oder: "Vielleicht kann man Ihnen das an der Kasse sagen." Noch schwieriger wird es, wenn Sie eine Auskunft einholen wollen, die Fachwissen erfordert. Zum Beispiel: Gehörte der Maler dieses Bildes dem "Blauen Reiter" an? Dann werden Sie von der Aufsicht hören: "Tut mir leid, wir dürfen keine inhaltlichen Auskünfte geben. Dafür ist unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin Frau Dr. Meyer-Pempelfort zuständig." Die ist aber zurzeit auf Dienstreise.

Vor Jahren besuchten wir ein mittleres Museum im Ruhrgebiet. Uns interessierte eine Wechselausstellung, von der wir zuvor aus der Presse erfahren hatten. Die Dame an der Kasse schaute uns mit großen Augen an und befand dann, dass es sich um eine Verwechslung mit einem anderen Museum handeln müsse. Hier jedenfalls gebe es eine solche Ausstellung nicht. "Die könnte allenfalls im zweiten Stock sein", fügte sie nach einer Bedenkzeit hinzu, und es klang, als habe sie es noch nicht bis dort hinauf geschafft. Wir könnten uns ja mal im Gebäude durchfragen, sagte sie. Wir wurschtelten uns dann durch. Die Ausstellung war hervorragend.

Noch immer stehen sich viele Museen selbst im Wege. Dabei hat sich in den vergangenen zehn, 20 Jahren viel gewandelt. Zumindest die großen Häuser - also diejenigen, die es sich finanziell leisten können - suchen Publikum mit besonderen Angeboten zu locken: mit Führungen, Vorträgen und Events, mit Veranstaltungen, die Brücken zu Film, Literatur, Tanz und Theater schlagen, und mit Programmen für Kinder. Wer vormittags ein Museum besucht, kann einigermaßen sicher sein, dass er auf Schulklassen trifft, die dort nicht nur ihre Zeit absitzen, sondern oftmals gebannt den Worten eines wissenschaftlichen Mitarbeiters lauschen. Das Museum als Außenstelle des Bildungssystems - dieses Konzept scheint aufzugehen.

Dennoch gibt es Zweifel daran, ob das Museum, eine Erfindung des 18. Jahrhunderts, für die Zukunft taugt. Denn zwischen den imposanten Besucherzahlen der Statistiken und dem Augenschein klafft eine merkwürdige Lücke. Der Augenschein vermittelt: Besucher strömen in nennenswerter Anzahl nur dann in ein Museum, wenn es eine attraktive Sonderausstellung gibt. Das bringen nur die großen Museen zustande, und selbst denen fällt es schwer, die Besucher der Sonderschau auch in die Räume nebenan zu locken, in denen sich die womöglich hochrangige Schausammlung präsentiert. In kleinen und mittleren Museen dagegen herrscht, was die Besucher anlangt, oft gähnende Leere.

Die Statistik scheint eine andere Sprache zu sprechen. Für das Jahr 2012 (die neuesten verfügbaren Zahlen) hat das Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin für das gesamte Bundesgebiet rund 113 Millionen Museumsbesuche ermittelt. Die Zahl basiert wie in jedem Jahr auf einer Umfrage bei den Museen, an der sich zuletzt gut 80 Prozent der Häuser beteiligten. Hinzu kommen 6,6 Millionen Besuche in Ausstellungshäusern ohne eigene Sammlung. Macht zusammen 119,6 Millionen. Noch imposanter wirken diese Zahlen, wenn man sie mit den Bundesliga-Besuchen der Spielzeit 2012/2013 vergleicht: 13 Millionen. Selbst wenn man die Zahl der zweiten Bundesliga - 5,3 Millionen - hinzuzählt, kommt man nur auf 18,3 Millionen. Demzufolge verzeichnen die deutschen Museen gut sechs Mal so viele Besuche wie der Fußball, soweit er von Statistiken erfasst wird. Der Fairness halber sei hinzugefügt, dass Fußballspiele vor allem ein Wochenendphänomen sind, während Museen in der Regel sechs Tage in der Woche ihre Türen geöffnet halten.

Sind die deutschen Museen nun eine Erfolgsgeschichte oder doch eher ein Auslaufmodell? Selbstverständlich ist die Attraktivität großer Publikumsausstellungen unbestritten. Vor zehn Jahren wurde das Gastspiel des New Yorker Museum of Modern Art in der Berliner Nationalgalerie mit 1,2 Millionen Besuchen zur erfolgreichsten europäischen Kunstausstellung aller Zeiten. Die Schau war von vornherein ein Selbstläufer; wer sie gesehen hatte, empfahl sie weiter, und alle Welt sprach darüber. Doch Selbstläufer sind die Ausnahme im Ausstellungswesen. Den meisten Präsentationen müssen die Museumsleute erst mal Beine machen.

Nicht nur das Aufsichtspersonal muss besser ausgebildet und dadurch auskunftsfreudiger werden. Auch die schriftlichen Informationen über die Ausstellungsstücke sind verbesserungswürdig. Viele Direktoren gerade von Kunstmuseen scheuen sich, die Besucher mit Schrifttafeln zu konfrontieren, weil sie befürchten, dass dann in der Ausstellung nur noch gelesen statt geschaut wird. Manche suchen mit dem Einsatz von Audio-Führern Abhilfe zu schaffen, andere lassen den Besuchern Faltblätter mit Erläuterungen in die Hand drücken. Doch Audio-Führer lenken die Besucher oft nur zu wenigen exemplarischen Ausstellungsstücken, und Faltblätter stiften mit ihren Lageplänen oft mehr Verwirrung, als dass sie dem Besucher entgegenkommen.

Die meisten Museumsdirektoren setzen bei ihrem Publikum zu viel voraus. Als Vorbild kann dagegen die Bundeskunsthalle in Bonn dienen: In jedem Saal findet sich eine Schrifttafel, welche die Ausstellungsstücke in einen historischen oder stilistischen Kontext setzt.

Was den deutschen Museen im Wege steht, ist nicht zuletzt ihr Ruf als Bildungsstätte. Sieht man sich im benachbarten Ausland um, so gewinnt man den Eindruck, dass es dort viel lockerer zugeht: Kinder sind kein Fall für Kinderführungen oder Bastelarbeiten nach bedeutenden Vorlagen, sondern ein Teil der Familie - auch beim Museumsbesuch. Eltern und Kinder erschließen sich die Ausstellungsstücke gemeinsam, und sie dürfen dabei lachen und auch sonst mal etwas lauter sein, ohne dass die Aufsicht gleich zischelt.

Deutsche Museen halten sich viel auf ihre Wissenschaftlichkeit zugute, im Ausland dagegen denkt man mehr in Erlebniskategorien. In den Niederlanden etwa öffnen sich Kunstmuseen viel selbstverständlicher als bei uns auch Randbereichen wie Design und Volkskunst. Man besuche einmal das Gemeentemuseum in Den Haag. Andere Museen bauen auch schon mal einen Gag für Kinder ein, etwa das Naturkundemuseum in Paris mit einer interaktiven Video-Installation, in der die Kinder sich mit Wolfskopf erleben können. Und das Centre Pompidou mit seinem Nationalmuseum für Moderne Kunst führt in seiner Gegenwartsabteilung so viel Kunst vor, in der sich etwas bewegt, leuchtet oder klappert, dass junges Publikum sich unweigerlich angesprochen fühlt.

Nicht jedes Museum verfügt über die finanziellen Mittel, die so etwas ermöglichen. Manche sind bettelarm - und kaum einer merkt es. In der reichen Landeshauptstadt Düsseldorf fristet das Goethe-Museum ein Dasein, das dieser Stadt unwürdig ist. Vergilbende Zettel benennen mit knappen, sich an ein Fachpublikum wendenden Worten in den Vitrinen lagernde Dokumente, die an einen der größten deutschen Dichter und Denker erinnern.

Ist das Museum ein Auslaufmodell? Wenn es sich so darbietet, ja. Ansonsten zeigen im 21. Jahrhundert vor allem Technikmuseen wie das Deutsche Museum in München (fast eine Million Besuche) und das Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart (720 000 Besuche), dass es eine Zukunft gibt, wenn die Menschen am Ende eines Museumsrundgangs sagen können: Wir haben etwas erlebt.

(RP)
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