Neue Lernformen Das Klassenzimmer der Zukunft wird digital

Frankfurt/M. · Auf der Frankfurter Buchmesse wird eine Form des Lernens präsentiert, wie sie dem 21. Jahrhundert angemessen scheint.

Man wird doch noch träumen dürfen. Davon zum Beispiel, dass das Lernen freier wird und kreativ und voller Freude ist, dass alle denkbaren Mittel zur Verfügung stehen und das Wissen im 21. Jahrhundert endlich das wird, wovon schon seit viel zu vielen Jahren nur die Rede war: ein Baustein unserer Zukunft.

Jetzt ist es so weit, verwirklicht wenigstens für ein paar Tage auf der Frankfurter Buchmesse: "Klassenzimmer der Zukunft" heißt das Projekt, und weil künftiges Lernen vor allem ein nationenübergreifendes sein wird, nennt man es forscher auch "Cyber-Classroom". Ihm liegt die Überlegung oder auch Erkenntnis von Zukunftsforschern zugrunde, dass unsere Schulkinder heute sich Wissen aneignen, um fit zu werden für Berufe, von denen die Mehrheit noch nicht erfunden ist und von denen es derzeit bestenfalls ein Ahnung gibt.

Vor diesem Hintergrund erscheint der Cyber-Classroom als eine pädagogische Notwendigkeit, auf jeden Fall ist er mehr als nur eine Spinnerei. Und trotz des augenscheinlichen Wirbels, der darum gemacht wird — unter anderem mit Kleinkindern, die ihrem T-Shirt-Aufdruck nach ausgewiesene "Climate Explorer" sein sollen —, erwartet uns noch keine Revolution im Klassenzimmer. Es geht um eine spielerisch vermittelte, zeitgerecht zubereitete und technisch aufgeladene Wissensvermittlung. Unter dem Strich spricht aus all dem aber eine neue Bildungswertschätzung. Ein Beispiel: Jürgen Mennel.

Der ist Ultramarathonläufer. Und wenn er in unserem Klassenzimmer der Zukunft aufs Laufband steigt, ist das gewöhnungsbedürftig. Wenn er dann zu laufen beginnt und sich eine dieser ulkigen 3D-Brillen auf die Nase setzt, könnte es vollends albern wirken, säßen wir, die Besucher der Cyber-Welt, nicht mit denselben Brillen im selben Klassenzimmer und starrten auf einen riesigen Bildschirm. Denn dort wird uns mit jedem Läuferschritt — exakt gemessen mit etwas klobig aussehenden Spezialschuhen — angezeigt, was im Körper vorgeht; woher die Energie kommt, was in den Blutbahnen passiert, wie die Muskeln arbeiten.

Als Mennel das Laufband verlässt, ist der Unterricht noch nicht vorbei. Denn jetzt soll ein 3D-Film über den Regenwald kommen, und unwillkürlich erinnert man sich an den eigenen Biologie-Unterricht, wenn der Lehrer aus Mangel an eigenem Tatendrang den ollen Filmprojektor aus dem Schrank der Lehrmittel hervorkramte und irgendeinen Tierfilm losrattern ließ.

Denkste. Denn zum einen ist der Film über "Das Geheimnis der Bäume" ein neuer Kinofilm mit entsprechend spektakulären, auch animierten Bildern; zum anderen vermittelt uns eine anschauliche 3D-Lerneinheit die Funktion des Regenwaldes bis hin zur Photosynthese in allen Details, die sich in den einzelnen Blättern Stunde für Stunde ereignen. Dazu fuchtelt mit der unwillkürlichen 3D-Präsenz ein Lehrstock vor unserer Nase herum, der an altes Pauken zumindest digital erinnert.

Auch beim Thema Regenwald hat unsere neue Klasse nicht gekleckert. Denn zum Unterricht ist immerhin auch Filmemacher Luc Jacquet erschienen, der für seine frühere Dokumentation — "Die Reise der Pinguine" — schon einen Oscar einheimsen durfte. Dass zum Thema Meere und Fische und Ökologie dann auch noch die Tiefseeforscherin Claire Nouvian erscheint, wird jetzt fast mit Selbstverständlichkeit hingenommen.

Das wirkt natürlich wie ein Unterricht in seiner exklusivsten Form, eine Art hochmotivierte Wissensvermittlung in der "High-End-Stufe". Mag sein. Doch wollen die Projektmacher von "we.learn.it", ein von der Europäischen Kommission mit zwei Millionen Euro finanziertes und initiiertes Zukunftsschulprogramm, erst einmal zeigen, was gehen könnte, was denkbar und vielleicht dann auch machbar wäre. Auf der Europäischen Onlineplattform von we.learn.it sind bereits 15 Expeditionen von Schulklassen gesammelt.

Nicht alle sind so spektakulär wie die Wissens-Expedition der Realschüler aus Traunreut, die nach China und Russland gereist sind und dort die Menschen und ihre Sitten kennenlernten sowie die ökologischen Probleme des sibirischen Baikalsees erforschten. Da ist natürlich auch jede Menge Spaß und Abenteuer im Spiel.

Doch wer behauptet, dass sich gute Wissensvermittlung immer nur sehr ernst und zurückgezogen ereignen dürfe? Wer die Schüler von ihrer Reise berichten hört und in ihre Gesichter schaut, ahnt, dass diese angeleitete und wissenschaftlich gut vorbereitete Reise mehr als ein spektakulärer Klassenausflug ist und mehr in den Köpfen der Schüler hinterlassen könnte, als etliche Unterrichtsstunden das könnten. Es geht auch ein paar Nummern kleiner — wie die Wetterbeobachtung und die Erklärung von Naturkatastrophen, dies in enger und, wie zu hören war, freudvoller Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Luft und Raumfahrt.

Ein großer Ideenwettbewerb ist das EU-Projekt, bei dem es auch darum geht, ein Gefühl für gute und sinnvolle Partnerschaften zu entwickeln, wie die verantwortliche Mitarbeiterin Joanna Lindberg betont. Und viele waren überrascht, wie gerne auch Unternehmen sich engagieren. Noch sind es Sonderprojekte. Bis zur Aufnahme in den Lehrplan ist es noch ein weiter Weg. "Das aber liegt natürlich in der Eigenverantwortung der Mitgliedschaften", sagt uns Lindberg. Also auch in Deutschland. Dann hält sie kurz inne und korrigiert sich: "Bei Ihnen natürlich in der Verantwortung der einzelnen Länder."

(RP)
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