Stockholm Das ewige Eis reißt

Stockholm · In der Antarktis droht ein 5000 Quadratkilometer großer Eisberg abzubrechen. Und in der Arktis-Region ist es so warm wie nie zuvor.

Der Riss im Eis reicht auf den Luftaufnahmen schon jetzt bis zum Horizont, und den Forschern zufolge nehmen die Ausmaße rasend schnell zu. Schon bald könnte in der Antarktis einer der größten jemals registrierten Eisberge entstehen. 5000 Quadratkilometer, doppelt so groß wie das Saarland: Die Eismasse wird letzten Messungen zufolge nur noch von einer 20 Kilometer langen Verbindungsstelle an das antarktische Larsen-C-Schelfeis im Polarmeer gehalten.

"Der Eisberg hängt am seidenen Faden", sagte Adrian Luckman, Leiter des Forschungsprojekts Midas von der britischen Universität Swansea der Deutschen Presse-Agentur. "Ich wäre erstaunt, wenn er nicht in den nächsten Monaten abbricht." Den Forschungen zufolge ist der Spalt im Eis rund 160 Kilometer lang und 300 bis 500 Meter tief. Im Dezember verlängerte sich der Riss um 18 Kilometer.

Kurzfristige Folgen dürfte das Abbrechen des Eis-Giganten nach Angaben der Forscher nicht haben. Sie fürchten aber, dass das Schelfeis weiter kalbt, so wird der natürliche Prozess genannt, bei dem Eisberge vom Rand des Schelfeises abbrechen. Das Schelfeis droht so langfristig instabil zu werden. "Dadurch könnte das Schelfeis auch empfindlicher auf Klimaerwärmungen reagieren", sagte Forscher Martin O'Leary. Die benachbarten Larsen-Schelfeise A und B sind nach Angaben des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven bereits vor einigen Jahren zerfallen.

Umso bedenklicher sind die Entwicklungen in der Antarktis, weil sich zuletzt auch schlechte Nachrichten aus der nördlichen Polarregion, der Arktis, häuften. Neuesten Forschungen zufolge erlebte der Nordpol 2016 eine noch extremere Hitzewelle als schon 2015. Im November war es dort 20 Grad, in der Woche vor Weihnachten 30 Grad wärmer als über Jahrzehnte üblich. Temperaturen am Nullpunkt entsprachen denen in Teilen Deutschlands.

Seit Beginn der Satellitenmessungen vor 38 Jahren war zudem die Eisdecke nie so klein wie zu diesem Jahreswechsel. Um zwei Millionen auf insgesamt 9,1 Millionen Quadratmeter ist sie geschrumpft, im Vergleich zu den entsprechenden Durchschnittswerten von 1981 bis 2010. Das ist etwa die Größe von Mexiko. Auch die Neubildung von Eis im Winter liegt durch die Wärme auf einem historischen Tiefstand, heißt es vom Alfred-Wegener-Institut.

Auch in den Arktis-Anrainernationen ist der Klimawandel inzwischen deutlich zu spüren: Auf Island werden die Gletscher kleiner und könnten in 100 Jahren verschwunden sein. Die Erdkruste der Vulkaninsel erhöht sich, weil der Druck auf die Landmassen durch die Eisschmelze abnimmt, heißt es von der Universität Island. Das könne zu mehr Vulkanaktivitäten führen, die den Flugverkehr stören könnten. Die derzeitige Wärme in der Arktis hat zudem in einer vermuteten Kettenreaktion in Sibirien zu ungewöhnlich eisigen Temperaturen geführt. Weltweit werden mehr schwere Unwetter, Überschwemmungen und Erdbeben vorausgesagt. Das alles sind Dominoeffekte, wird vermutet.

Forscher, die die jährliche "Arctic Report Card" erstellen, sprechen von einer Entwicklung, die inzwischen so schnell verläuft, dass sie wissenschaftlich kaum noch nachvollziehbar und erklärbar ist, auch wenn es viele Theorien gibt.

Als eine mögliche Ursache für die Arktis-Hitzewelle gelten die ungewöhnlich warmen Temperaturen im Winter 2015. Es entstand deutlich weniger Eis, das ab dem Frühjahr dann schneller abschmolz. Eiswasser sorgte für einen Verstärkungseffekt. Es nahm die Wärme stärker auf als der weiße Schnee und das Eis, die die Sonne wegreflektieren. Dadurch aber hat sich der Ozean stärker aufgewärmt und verhindert nun zusätzlich die Eisbildung. Es ist ein Teufelskreislauf, der 2017 zu einer noch extremeren Situation führen könnte. Zudem habe ein ungewöhnlich schwankender Höhenwind feuchte Luft aus subtropischen Breitengraden nach Norden gedrückt, sagte die US-Arktisforscherin Jennifer Francis der "Washington Post". Große Temperaturschwankungen in der Arktis sind in der kalten Jahreszeit nichts Ungewöhnliches, aber die derzeitige Dauer und Größenordnung sind es schon.

Ein kürzlich in Stockholm veröffentlichter Bericht des "Arktischen Rates" hat 19 Kipppunkte in der Arktis identifiziert. Es sind Klimawendepunkte, die, wenn sie eintreten, nicht mehr rückgängig gemacht werden können und die Erderwärmung katastrophal beschleunigen. Dazu gehört etwa, wenn weiße Schnee- und Eisflächen in der Arktisregion zunehmend durch Pflanzen verdrängt werden. Dann können sie die Sonnenwärme nicht mehr reflektieren. Zudem gelangt dann mehr Methangas in die Luft. Das stößt weitere Erderwärmungsprozesse an. Laut dem Bericht könnte die Verschiebung der Schnee- und Eisverteilung die Monsunzeit in Asien beeinflussen, wo Milliarden von Menschen auf diese bislang stabile Süßwasserversorgung angewiesen sind.

(RP)
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