Popmusik Kunst auf der Platte

Düsseldorf · Wie fruchtbar die Verbindung von Popmusik und Kunst war, zeigt sich im Design vieler LP-Cover. Durch besondere Hüllen ließ sich die Wirkung des Sounds steigern. Inzwischen sind die Gestaltungsmöglichkeiten durch die Digitalisierung stark eingeschränkt. Ein Abgesang.

Diese Plattencover sind Kunst
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Foto: Label

Pascal ist ein Freund, und in seiner Küche hängen neun quadratische Wechselrahmen von Ikea. Pascal präsentiert darin Plattencover, es ist eine kleine Ausstellung, die alle paar Wochen wechselt, eine Galerie über dem Gewürzregal sozusagen, drei mal drei Herzensangelegenheiten hinter Glas. Wenn er die LP-Hüllen wieder mal ausgetauscht hat, lädt Pascal Freunde ein, und dann stehen alle da und gucken auf Alben, die den Soundtrack zum eigenen Leben lieferten, und Cover, die nur wegen der schönen oder obskuren Motive ausgesucht wurden. Pascal macht sich immer ziemlich viele Gedanken, er nimmt diese Mini-Ausstellung sehr ernst, deshalb lobt man die geschmackvolle Zusammenstellung und die Querverbindungen, die sich zwischen den Objekten ergeben. Der Hobby-Kurator legt dazu Musik auf und reicht Bier an.

Man merkt das nicht so, weil man sich gut gelaunt zuprostet, aber diese Abende sind eigentlich Begräbnisfeiern. Plattenhüllen waren eine eigenständige Kunstform. Seit die Formate zunächst mit der CD und nun durch die Digitalisierung immer kleiner wurden, wird das Medium entzaubert. Auf dem Handy, mit dem man Musik streamt, ist das Motiv zum Album daumennagelgroß. Die Hülle wurde ihrer Funktion beraubt, sie schützt und birgt nicht mehr, und sie schmückt nur noch in Ausnahmefällen. "Keiner schaut mehr richtig hin", so fasst Jörg Heiser, der das Buch "Doppelleben" über den Austausch zwischen Kunst und Popmusik geschrieben hat, das Elend zusammen.

Der Pop verdankt den Covern viel

Dabei verdankt die Popmusik dem Plattencover viel. Erst durch die Verpackung wurde sie zum Gegenstand der Kunstbetrachtung. Schellackplatten wurden zumeist in Lochcover gesteckt, die sahen identisch aus, und durch die Aussparung in der Mitte konnte man aufs Label der Schallplatte schauen. "Grabplatten" nannte man diese Hüllen. 1939 kam der Designer Alex Steinweiss auf die Idee, eine besondere Plattenhülle zu gestalten. Sein Entwurf zur Schellackplatte "Smash Hits By Rodgers & Hart" machte aus dem trostlosen Schutz für feine Rillen etwas Ambitioniertes. Das war Musik, die ihren Ursprung auf dem Broadway in New York hatte, also fuhr er in die 45. Straße und fotografierte das Imperial-Theater. Fürs Cover legte er die Fotografie vor eine stilisierte Darstellung einer Schallplatte. Columbia Records merkte rasch, dass Steinweiss' Arbeit keine Spielerei war: Alte Platten, die in seine neuen Hüllen gesteckt wurden, verkauften sich bis zu 895 Prozent besser als zuvor.

Das Plattencover sollte denn zunächst auch bloß den Umsatz erhöhen, es ging lediglich um die Ökonomie der Aufmerksamkeit. Aber dann kam das Jahr 1967, und dieses Datum markiert den "Ausstieg aus blanker Verkaufskalkulation", sagt der Kunstwissenschaftler Walter Grasskamp. Damals sei die Grundlage für künstlerische Souveränität geschaffen worden. Es war das Jahr, als Andy Warhol das Cover für das Debüt der von ihm betreuten Band Velvet Underground schuf. Es wird beherrscht von einem Aufkleber in Bananenform. Am Stiel steht "peel slowly and see", und wenn man den Sticker abzieht, kommt darunter Fruchtfleisch zum Vorschein; es ist aber nicht gelb, sondern pink. Unter der Banane steht der Name des Künstlers. Dass man Musik von Velvet Underground hört, erfährt man erst auf der Rückseite. Wer die Platte einst kaufte und den Aufkleber nicht abknibbelte, hat Glück. Bei Ebay wurden für so ein Stück schon 155.000 Dollar bezahlt.

Warhol war am Lebensgefühl interessiert

Warhol wusste, dass Pop ein Werkzeugkasten ist, mit dem man an Posen arbeitet, die wiederum Realitäten schaffen. Er war gar nicht so sehr an der Musik an sich interessiert, sondern mehr an dem, was man im Zusammenspiel mit ihr schaffen kann, an der Stimmung also, am Lebensgefühl und der "Verabredungskultur", wie es bei Diedrich Diederichsen heißt. Warhols Cover ist das erste, das nicht Auftrag war, sondern die autonome und gleichberechtigte Arbeit eines Künstlers. Es verkörpert das Ideal, in dem zwei eigenständige Schöpfungen zusammenwirken: Kunst im Quadrat. Popmusik definiert sich nicht nur über Klang, sondern auch über Visualisierung. Popmusik ist Sound, der verdammt gut aussieht.

1967 erschien eine weitere Platte, die stilbildend war und dazu beitrug, dass Pop sich emanzipierte und erwachsen wurde. Im Juni brachten die Beatles das Konzeptalbum "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" heraus, mit dem sie sich vom Liebe-Jungs-Image verabschiedeten und eine andere Identität ausprobierten. Das dutzendfach kopierte Cover schuf der Künstler Peter Blake, und es zeigt in einer Collage 70 Berühmtheiten, die die Beatles ausgesucht hatten: Marilyn Monroe, Karl Marx, Bob Dylan, Karlheinz Stockhausen, Lewis Carroll, Marlon Brando. Die Songtexte wurden hinten auf die Außenhülle gedruckt und bekräftigten den neuen Anspruch auch in literarischer Hinsicht. Das Cover stelle eine "Kanonrevision" dar, schreibt Walter Grasskamp, es unterscheide nicht mehr zwischen Kunst und Leben, zwischen Hochkunst und Massenware. Ein Objekt aus der Konsumwelt wollte ernstgenommen werden. Rock 'n' Roll war jetzt Kunst.

Es geht darum, das Cover in ein Verhältnis zur Musik zu stellen

Die besten Cover sind jene, die gemeinsam mit der Musik Lebensgefühl und Zeitgeist ein passendes Bild liefern. Dabei geht es nicht nur darum, dem Bildlosen der Musik etwas entgegenzusetzen. Sondern darum, das Cover in ein Verhältnis zur Musik zu stellen, Spannung zu erzeugen und die Wucht zu erhöhen, mit der der jugendliche Hörer getroffen wird. Das von Warhol gestaltete Cover zur LP "Sticky Fingers" der Rolling Stones ist dafür ein Beispiel: Es zeigt eine Jeans, Warhol versah sie mit einem Reißverschluss, und wer ihn öffnete, entdeckte eine Herrenunterhose, in der das Leben in voller Blüte stand.

Plattencover sind demokratische Kunstwerke, jeder kann sich eines kaufen, sie sind Multiples fürs Volk, und deutlich machte das der Pop-Art-Künstler Richard Hamilton, der das "White Album" der Beatles 1968 so radikal wie möglich als Leerstelle inszenierte: Es blieb komplett weiß. Hamilton ließ nur eine fortlaufende Nummer auf die Vorderseite stanzen: Jedem Kind sein eigenes Kunstwerk.

Legendär: "Dark Side Of The Moon"

Plattenhüllen machen Musik greifbar. Wer in den 70er Jahren aufwuchs und heute in Gedanken sein Jugendzimmer betritt, wird dort sicher die Hülle von "Dark Side Of The Moon" finden. Die LP aus dem Jahr 1973 gilt nach Michael Jacksons "Thriller" als meistverkauftes Album, und das vom Designstudio Hipgnosis und Storm Thorgerson gestaltete Cover mit dem Prisma ist so mit jener Zeit und ihrer Musik verbunden, dass man sich das eine kaum mehr ohne das andere denken kann. Hipgnosis gestaltete einige prägende Alben jener Jahre, die Nachfolgewerke Pink Floyds ebenso wie Großtaten von Led Zeppelin, T. Rex und Alan Parsons Project.

Es gibt keine klaren Bedingungen für die Wirkung von Pop. Pop wird für jede Zeit neu ausgehandelt, und die besten Gestalter von Plattenhüllen fanden die Geschichte, die sie und die Musiker mit Betrachtern und Hörern teilten. Man nehme nur die Hülle des Albums "London Calling" (1979) von The Clash, auf der Bassist Paul Simonon sein Instrument zerhaut. Bruch mit den Konventionen, London brennt. Der Schriftzug dazu wurde von der ersten Elvis-Platte (1956 ) entlehnt.

Viele bildende Künstler arbeiteten als Coverdesigner: Jeff Wall für Iggy Pop, David Bailey für die Stones, Jean-Paul Goude für Grace Jones, Anton Corbijn für U2 und Depeche Mode und Gerhard Richter für Sonic Youth. Manche Kooperationen wurden zu Klassikern, anderes ging in die Hose - ein Beispiel für das Missglücken der Ehe von Kunst und Musik ist die Hülle zum Album "Artpop" von Lady Gaga, die Jeff Koons, der derzeit teuerste Künstler der Welt, 2013 gestaltet hat: hochpreisige Leere. "Hier ist Kunst nur noch Marketingstrategie für Leute, die dringend ein neues Image brauchen", sagt Jörg Heiser.

Der Vinylmarkt boomt zwar, England meldet die besten Absatzzahlen seit 1991, aber die meistverkauften LPs sind Neuauflagen alter Schätze von Beatles, Stones und Co. Die Digitalisierung hat die Gestaltungsmöglichkeiten für Plattencover enorm eingeschränkt. Die Hüllen von "Sgt. Pepper" und "Sticky Fingers" funktionieren nicht auf dem Smartphone. Von Indie-Bands wie den Goldenen Zitronen, deren tolles Cover zur LP "Lenin" 2006 von Daniel Richter gestaltet wurde, mag die Bedeutung nach wie vor hochgehalten werden. Im Mainstream indes suchte man hervorragende Cover zuletzt vergebens. Die Ausnahme: "Blond" von Frank Ocean. Der Fotokünstler Wolfgang Tillmans hat das Cover gestaltet, und er zeigt Ocean, der einer der wenigen Künstler im HipHop ist, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen, als verletzliche Person. Diese Hülle ist eine späte Hommage ans einstige Ideal: widerborstig, verblüffend, irritierend. Das Album ist bisher übrigens nicht als CD und LP, sondern nur als Download verfügbar.

Die Plattenhülle ist tot, es lebe die Bilddatei.

(hols)
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