Reihe Studierende erklären Kunst Raumwunder mit Tiefenwirkung

In unserer Reihe „Kunstmeditationen“ erklären Masterstudierende der Kunstgeschichte an der Heinrich-Heine-Universität Werke Düsseldorfer Künstler. Gian Marco Hölk über das Bild „UoL“ von Christine Erhard.

 „University og Leicester“ von Christine Erhard, entstand 2020.

„University og Leicester“ von Christine Erhard, entstand 2020.

Foto: Christine Erhard

Seit den 2000er Jahren erforscht die Düsseldorfer Fotokünstlerin Christine Erhard die Möglichkeiten konstruktivistischer Architektur in ihren fotografischen Arbeiten. So auch in „University of Leicester“, kurz UoL.

Über gelbe und weiße Milchglasstege wird der Blick in den surreal anmutenden Bildraum gelenkt. Vertraute bauliche Elemente wie Backstein und Asphalt fügen sich ebenso wie ein Metallnetz und der rote Leineneinband eines Buches, der auf diese Weise wie eine monochrome Fläche erscheint, zu einem architektonischen Ganzen zusammen.

Neben den drei Grundfarben Rot, Gelb, Blau ist es vor allem der warme, rötliche Backstein, der dem Auge Halt gibt, der die Fläche skulptural beherrscht und sich gebäudeartig in mehrere Richtungen ausdehnt. In der linken Bildhälfte dominieren hingegen transparente, geometrische Formen in kühler Tonalität, die der rechten Seite eine Leichtigkeit entgegensetzen.

Nicht nur die Geometrie der collagierten Elemente und die Anordnung im Bild, auch die Verwendung der Grundfarben, die Darstellung verschiedener Texturen sowie die Multiperspektivität verweisen dabei auf die Verwandtschaft zu Gemälden der russischen Avantgarde der 1920er Jahre. Diese bildet jedoch wie die Architekturfotografie nur die Grundlage für Erhards Arbeit. Die Künstlerin verwendet Modelle aus Pappe und Alltagsgegenständen, die sie in Innen- und Außenräumen platziert und fotografisch festhält. Das Unkonventionelle dabei: Die Kamera gibt die Positionierung des Modells im Raum vor, bleibt also unbewegt, während die optimale Ausrichtung des festzuhaltenden Objekts ergründet wird.

Mit UoL hat Erhard diesen Ansatz noch weitergedacht. Der Eindruck illusionistischer Tiefe beruht hier auf einem zusätzlichen Reproduktionsschritt, nämlich einem Foto des ursprünglichen Modellfragments, das sich paraventartig gefaltet im Zentrum des Bildes befindet. Von Leicesters Ingenieursfakultät ist also nur noch eine zweifache Reproduktion vorhanden. Die vielen Überlappungen im Bild verschleiern außerdem den Realraum, in dem die Elemente im letzten Arbeitsschritt arrangiert worden sind. Das Buch gibt aber zumindest Aufschluss über den Maßstab. Es handelt sich somit um eine Installation im Miniaturformat.

Christine Erhard eröffnet damit nicht nur ein Spiel zwischen den unterschiedlichen Medien der bildenden Kunst, zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, auch ihre Praxis verlagert sie pandemiebedingt auf engsten Raum. Komplexität verliert ihre Arbeit dadurch dennoch nicht. In UoL erzeugt sie eine konstruierte, perspektivische Tiefenwirkung und stellt die Wahrnehmung in Bezug auf eine bildliche Logik auf die Probe. Erhards Fotografie zwingt immer wieder noch genauer hinzusehen. Bis zum Ende bleibt jedoch das unbefriedigende Gefühl, des komplexen Raums nicht Herr werden zu können.

Info https://www.christineerhard.de/

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