Kolumne Dozentenleben Auch ohne Spitzen-Abi gibt es Wege in die Zukunft

Welche Chancen haben Abiturienten mit einem schlechteren Notendurchschnitt? Es gibt Möglichkeiten, aber nicht alle Wege sind einfach, weiß Autorin Karin Wilcke. Und sie meint: Längst nicht alle Unternehmen sind so aufgeschlossen, wie sie vermitteln.

 Karin Wilcke ist selbstständige Berufsberaterin und lehrt an der Heinrich-Heine-Universität.

Karin Wilcke ist selbstständige Berufsberaterin und lehrt an der Heinrich-Heine-Universität.

Foto: Schaller,Bernd (bs)/Schaller, Bernd (bs)

Timos Abi ist nicht so besonders. Genau genommen ist es mit einem Notendurchschnitt von 3,7 sogar richtig schlecht zu nennen, doch er ist ganz zufrieden, hat er doch mit der Nachprüfung das Ruder in letzter Minute noch rumgerissen. Und nun sitzt er vor mir und fragt nach einem BWL-Studienplatz, ohne Numerus clausus natürlich. Sein Lieblingsfach in der Schule war die Philosophie, aber da fehlt ihm der konkrete Beruf nach dem Studium. Und überhaupt, am liebsten würde er zuerst mal eine Ausbildung machen.

Diese Idee finde ich ausgesprochen gut, zumal für diejenigen, denen Schule und Lernen in den letzten Schuljahren so richtig zum Hals raushing. Eine Ausbildung eröffnet eine völlig neue Lebenswelt, Abiturienten mit schlechten Noten merken plötzlich, dass sie doch eine Menge können und die neuen Kollegen ihnen Anerkennung und Wertschätzung entgegenbringen. Ausbildungsstellen gibt es in diesem Jahr auch noch reichlich, ein leichter Fall also? Leider nein. Die Firmen, die immer so laut schreien, ihnen fehlten die Auszubildenden, legen nämlich die Latte für die Bewerbung verdammt hoch: In Deutsch, Englisch und Mathe sollte man bitteschön eine glatte „2“ mitbringen, gute PC-Kenntnisse und sogar Praktika werden ganz selbstverständlich erwartet. Zugleich werben alle Firmen mit super-lustigen Team-Events, Urlaub am Geburtstag, jeder Menge super-gesundem Obst und neuerdings gerne mit einem Bürohund, sind also super-locker, doch einen Abiturienten mit einer „4“ in Mathe will dann doch keiner sehen. Schön blöd. Denn in den allerwenigsten Berufen wird die Oberstufenmathematik angewendet. Und nun?

Timo wird sich trotzdem bewerben, seine Joberfahrung an der Tankstelle und seine jenseits der Schulnoten sehr guten Englischkenntnisse erwähnen und hoffen, dass jemand sein Potenzial entdeckt. Sein Plan B bleibt ein Studium, doch seine Erwartung, an einem Studienort ohne Numerus clausus zu studieren, weil es dort weniger anspruchsvoll sei, wird sich nicht erfüllen. Der N.C. ist das Ergebnis von Studienplatzangebot im Verhältnis zur Zahl der Bewerber, und da hat Düsseldorf halt einen viel größeren Einzugsbereich als beispielsweise Trier. Der Schwierigkeitsgrad der Studiengänge bleibt gleich.

Wie könnte hier ein Happy-End aussehen? Timo bekommt einen Ausbildungsplatz und anschließend aufgrund der dann erworbenen Wartezeit einen Studienplatz in einem der neuen wunderbaren Studiengänge „Philosophie und Ökonomie“. Ich drücke ihm die Daumen.

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