Schlesien heute Breslau blickt nach Westen

Düsseldorf (RP). Die Stadt an der Oder, mit polnischem Namen Wroclaw, hat ihre deutsche Vergangenheit angenommen und will in den nächsten Jahren nicht nur Schlesiens größte Stadt sein, sondern eine europäische Wirtschaftsmetropole werden.

Stadthalle in Görlitz.

Stadthalle in Görlitz.

Foto: ddp

Gefragt, wie seine Stadt heiße, Wroclaw oder Breslau, lächelt Stadtsprecher Zbigniew Morawski ganz entspannt: "Das ist derselbe Name für dieselbe Stadt". Wie bitte? Jahrzehnte lang galt es als Beweis für den Verständigungswillen mit Polen, zumindest dann von Wroclaw zu reden, wenn vom Breslau der Jetztzeit die Rede war. Auch heute gibt es noch Polen, die den Gebrauch des Wortes "Breslau" unter Strafe stellen wollen. Aber für das offizielle Breslau ist das kein Thema mehr. Morawski: "Wir akzeptieren die deutsche Vergangenheit". Die Jahrhunderthalle, ein eindrucksvoller Breslauer Betonbau aus dem frühen 20. Jahrhundert, der es auf die Welterbeliste der Unesco geschafft hat, heißt nicht mehr "Halle des Volkes", sondern - im deutschen Wort - "Jahrhunderthalle". Vor der backsteingotischen katholischen Elisabethkirche erinnert ein Mahnmal an den evangelischen Theologen und Nazi-Gegner Dietrich Bonhoeffer. Vor der Bronze-Skulptur - halb Kreuz, halb Torso mit ausgebreiteten Armen - sind zwei Platten in den Boden eingelassen: Auf der polnisch-sprachigen ist Bonhoeffer 1906 in Wroclaw geboren, auf der deutsch-sprachigen in Breslau.

Die sprachliche Entspannung ist Folge der politischen. Für Krzysztof Ruchniewicz, Professor für Zeitgeschichte an der Breslauer Universität (die sich deutsch Universität Wroclaw nennt), sind die kurz nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1990 und 1991 geschlossenen Verträge zwischen Deutschland und Polen die Grundlage der Entspannung. Sie garantieren Polens Grenzen. Da beide Staaten Mitglieder der Europäischen Union und der Nato sind formuliert Morawski, der nur ein paar Brocken Deutsch spricht, einen bedenkenswerten Satz: "We have no Angst." Morawski und Ruchniewicz sind gebürtige Breslauer. Für die Stadt, sagen beide, sei nach 1990 und 1991 noch ein anderes Jahr wichtig: 1997.

1997 trat die Oder über die Ufer. Sie drohte, die Altstadt zu überschwemmen. Tausende von Bürgern drängten mit Sandsäcken den Fluss zurück. Was 50 Jahre polnischer Herrschaft nicht geschafft hatten, trat jetzt ein: Die Bürger identifizierten sich mit ihrer Stadt und deren Vergangenheit.

Die Bürger - das waren ja nicht die Alteingesessenen. Die hatten die Stadt verlassen müssen, als Breslau im Herbst '44 von der deutschen Führung zur Festung erklärt wurde, um den Vormarsch der Roten Armee zu stoppen. Die verbliebenen 200000 Bewohner wurden nach der Kapitulation der Stadt am 7. Mai 1945 vertrieben. Der Bevölkerungsaustausch, sagt Krzysztof Ruchniewicz, betrug 100 Prozent. Und baulich waren 80 Prozent der Stadt durch die Kämpfe am Ende des Zweiten Weltkriegs zerstört.

Viele der neuen Bewohner der Stadt waren selbst Vertriebene: Aus Gebieten, die heute Russland gehören. Aus der Ukraine, wo die Polen das Gebiet um Lemberg verlassen mussten. Neubürger kamen auch aus der Kaschubei oder aus zentralpolnischen Gebieten. Fast allen war gemeinsam, sagt der 41-jährige Ruchniewicz, dessen Eltern aus der Kaschubei kamen, dass sie die zerstörte Stadt scheußlich fanden. Nicht nur, weil sie zerstört war, sondern auch, weil sie den Zuzüglern preußisch vorkam.

Das hatte Folgen für das Stadtbild. Noch in den 60er Jahren wurden alte Häuser abgerissen (und durch schlichte Einheitsbauten ersetzt), wenn sie an deutsche Familien erinnerten. Bis in die 90er Jahre gab es am riesigen Marktplatz, der sich um das großartige alte Rathaus zieht und deshalb Rynek (Ring) heißt, Baulücken, weil zerstörte Häuser deutscher Familien nicht wieder aufgebaut wurden. Und heute? Der Ring strahlt als sei er nie zerstört gewesen. Ihn säumen Cafés, Restaurants, Geschäfte. Er ist voller junger Menschen, denn Breslau ist, wie viele große polnische Städte, bei der Jugend beliebt.

Das hat hier schon Tradition. Nach dem Krieg zogen viele junge Polen in die Stadt. Das hatte politische Folgen. Schon im Jahr 1956, dann auch 1970 und 1980 war hier die Opposition stark, als die jeweilige kommunistische Führung unter Druck geriet. Junge Neu-Breslauer waren es auch, die als erste über das deutsche Erbe der Stadt diskutierten. In Warschau, das gern seine Hauptstadt-Stellung betont, wo einige Medien Polens Einheit gefährdet sehen, wenn deutsche Namen genannt werden, scheint der Hang zur Opposition bis heute Misstrauen zu wecken. Als Breslau sich vor einigen Jahren um die Ausrichtung der Weltausstellung "Expo" bemühte und Chancen auf den Zuschlag hatte, kam aus Warschau kein Wort - geschweige denn eine Tat - der Unterstützung.

Das wird in der Stadt an der Oder heute nicht mehr thematisiert, ist aber unvergessen. Breslau blickt nicht nach Warschau, sondern nach Westen. Leicht ironisch merkt der Historiker Ruchniewicz an, nach Warschau gebe es keine Autobahnverbindung, wohl aber nach Berlin und Krakau. Und was er als Breslauer Tradition beschwört, entspricht auch nicht gerade einer Ideologie der Einheitlichkeit. Ruchniewicz gebraucht nämlich gern das Wort multikulturell. Muli Kulti in Breslau heißt: böhmisch, österreichisch, preußisch, tschechisch und polnisch.

Alte Bausubstanz wird gepflegt. Teile der Universität, darunter die barocke Aula, in der Konzerte stattfinden, sind gut restauriert. Anderes Altes wird ohne Make up genutzt. Das Historische Institut der Uni sitzt in einem alten Haus, dessen Patina, dessen hohe Räume Geschichte atmen. Alte Palais werden wieder aufgebaut, Barockgärten wieder hergestellt. Viel wurde getan, viel bleibt noch zu tun. Überall in der Stadt wird gewerkelt.

Dazu kommen riesige neue Baustellen. Viele Bauten aus der kommunistischen Zeit werden aufgehübscht. Als der neue Aquapark, eine riesige Schwimm-Anlage, im Bau war, mussten deutsche Fachkräfte die Wasserrutschen montieren, weil viele polnische Fachkräfte im Ausland tätig waren. Am südlichen Stadtrand entstehen Reihenhäuser in einem Viertel, dessen Zugang durch ein Pförtnerhäuschen mit Schranke kontrolliert wird. Kalifornien lässt grüßen.

Breslau mit einer Arbeitslosenquote von 4,3 Prozent - in den ländlichen Gebieten Niederschlesiens beträgt sie zwischen 15 und 20 Prozent - sucht seine Zukunft als europäische Metropole. "Warum muss jemand, der aus Brüssel nach Breslau fliegt, in Berlin umsteigen?" fragt Ruchniewicz. Der Flughafen soll ausgebaut werden. Stadtsprecher Morawski blickt weiter nach Westen. Zu Dresden, Partnerstadt aus DDR-Zeiten, kein Wort. Wiesbaden nennt er immerhin als Partnerstadt. Doch Vorbild ist ihm - und er spricht ja nicht für sich allein, sondern für die Stadtverwaltung - Frankfurt am Main: Eine Stadt mit mehr als 600 000 Einwohnern fast so groß wie Breslau, das nicht ganz 700 000 Einwohner zählt. Eine Wirtschaftsmetropole mit Verbindungen in alle Welt.

Das will auch Breslau werden. Morawski zählt auf, wer von den ganz Großen schon da ist: Google, Bosch, Siemens, Credit Suisse, Toshiba und Hewlett Packard, das zurzeit ein Marketing Center für den gesamten Osten Europas aufbaut. Für die Zukunft setzt die Stadt auf "good companies", Unternehmen, die ihre Manager nicht einfliegen, sondern in der Stadt rekrutieren. Auch da investiert Breslau. Die Technische Universität - auch sie mit langer Tradition - soll helfen, so viele Manager mit Heimatbewusstsein auszubilden, dass Breslau/Wroclaw als Standort von Unternehmen vom Zug der Produktion an immer neue kostengünstige Standorte unabhängig wird.

Die alte Stadt setzt auf die technische Intelligenz.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort