Bonn/Düsseldorf Wer mitmacht, wird belächelt

Bonn/Düsseldorf · Die Diskussionen in Seminaren haben nachgelassen. Wer in einem Uni-Kursus durch Wortbeiträge auffällt, wird von seinen Kommilitonen häufig schief angesehen. Das beobachten auch Dozenten wie Christiane Florin.

Ist das für die Prüfung relevant? Müssen wir mitschreiben oder bekommen wir die Präsentation? Das sind Fragen, die Eva Trösser (27) an der Uni schon häufig von Kommilitonen gehört hat. Sie offenbaren die Mentalität vieler Studierender, die erwarten, dass Dozenten ihnen ihre Bildung in mundgerechtem Format servieren. Trösser schreibt gerade ihre Abschlussarbeit im Master-Studiengang "Komparatistik" an der Uni Bonn. Sie kennt aber auch die andere Seite des Pults. Denn sie gibt Tutorien für die Erstsemester im Bachelor "Germanistik, vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft". Sie hat es also mit Studenten zu tun, die teilweise noch minderjährig an die Universität kommen.

Passivität lässt sich auch bei Studierenden in höheren Semestern feststellen. Christiane Florin, Dozentin am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Uni Bonn, spricht von Lehrkörpern als Servicepersonal. Es sei häufig schon zu viel verlangt, dass die Studenten in die Bibliothek gehen und dort ein Buch heraussuchen. Stattdessen fordern sie Material vom Dozenten, das am besten auf die Lehrplattform im Internet hochgeladen wird. "Die Studenten erwarten, dass ihnen alles per E-Mail geliefert wird", sagt Florin.

Sie hat ein Buch über den neuen Typus des Studenten geschrieben mit dem Titel "Warum unsere Studenten so angepasst sind". Sie hat beobachtet, dass auch in Seminaren kaum noch aus Leidenschaft und Interesse für das Fach diskutiert wird und nicht etwa nur, weil die Teilnahme mit einer guten Note belohnt wird. In ihren Augen ist die Art und Weise, wie über Bildung gesprochen wird, dafür verantwortlich. "Leistung lohnt sich dann, wenn sie mit Punkten bewertet wird", sagt Florin. "Und Wissen ist dann nützlich, wenn es für die Prüfung nützlich ist."

Eva Trösser sieht aber nicht nur die Studenten in der Pflicht, mehr Engagement zu zeigen. Häufig sei der Seminarplan überfrachtet, und die Dozenten vergäßen, dass Studierende in der Regel mehrere Seminare im Semester belegen. Seit der Studienreform habe sich das Pensum deutlich erhöht. "90 Prozent der Studenten haben den Text nicht gelesen oder wenn, dann nur flüchtig", sagt Trösser. Und wer nicht vorbereitet ist, hat Schwierigkeiten mitzudiskutieren. Außerdem gebe es Dozenten, die ein und denselben Kursus seit Jahren geben und ihre Studenten langweilen. "Viele betrachten Lehre nur als Beiwerk. Das motiviert dann auch nicht", erklärt Trösser.

Auch Florin geht kritisch mit ihrem Stand ins Gericht: "Man darf Studenten nicht langweilen." Sie setzt unterschiedliche Methoden in ihren Seminaren ein. Zum Beispiel macht sie Rollenspiele mit Studenten, in denen einer eine vorher eingeübte Position vertreten muss und ein anderer die Gegenposition. Studenten müssten lernen, mit fachlicher Kritik umzugehen. Florin möchte nicht allein die Bologna-Reform und das Bachelor-Master-System dafür verantwortlich machen, dass viele Studenten nur noch auf Noten schielen und kaum Lust an der persönlichen Weiterbildung zeigen. Auch vorher sei ihr schon aufgefallen, dass viele Studenten kein Problembewusstsein für Forschungsfragen entwickeln. Es gehe gerade in den Geisteswissenschaften aber nicht darum, nach richtig oder falsch zu unterscheiden: "Viele kommen mit Uneindeutigkeiten und Kontroversen nicht zurecht."

Florin wünscht sich Studenten, die keine Angst haben, auch mal eine andere Meinung als der Dozent zu vertreten, die auf Augenhöhe diskutieren können. Stattdessen sind viele Studenten nicht in der Lage, eine Rückmeldung zum Referat eines Kommilitonen zu geben.

Das ärgert auch Trösser. Sie schlägt vor, Referate ganz aus dem Unterrichtsgeschehen zu verbannen. Denn es gebe kaum jemanden, der ein gutes Referat halten könne. Die Aufmerksamkeitsspanne der Studenten sei sehr kurz, und nach einigen Minuten schalten die meisten ab. Trössers Vorstellung von einem sehr guten Kursus sieht so aus: Der Dozent muss die Teilnehmer mitreißen und Lust auf das Thema machen, es sollte ein überschaubares, zu bewältigendes Pensum geben und eine möglichst kleine Gruppe. "Dann fällt es auch mehr auf, wenn jemand gar nichts sagt", meint Trösser.

Christiane Florin hat vor der stummen Masse nicht kapituliert. Sie schickt nicht mehr ihre Unterrichtspräsentation herum, übt Debattieren mit ihren Studierenden und setzt auf Unterrichtselemente, die zum Mitmachen anregen, auch jenseits des Referats. Seit ihr Buch erschienen ist, sitzen auch mehr Studenten in ihren Kursen, die Freude an fachlichen Diskursen haben.

(RP)
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