Herausforderung Hochschule "Viele nehmen Studium nicht ernst"

Düsseldorf · Karin Wilcke, freie Studienberaterin in Düsseldorf, kennt die Fallen im Studium: Mancher Studierende verliert schon im ersten Semester den Anschluss. Einige lassen sich nicht einmal helfen. Und die Berufsziele sind oft viel zu vage.

20 Dinge, die man als Student getan haben sollte
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Foto: dpa, Bernd Wüstneck

Wo bietet ein Studium die erste Möglichkeit, einen kapitalen Fehler zu begehen? Wilcke Das fängt schon vor Beginn des Studiums an: Viele Abiturienten machen sich wenig Gedanken darum, was sie studieren wollen. Da wird dann irgendwas genommen in der Hoffnung, sich damit viele Möglichkeiten offen zu halten, BWL oder Jura zum Beispiel. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dassman mit Jura nichts falsch machen könne — was natürlich Quatsch ist. Und viele Studenten machen sich auch keine Gedanken darüber, wo sie studieren möchten. Ihnen kommt es vor allem darauf an, dass sie weiterhin bequem bei ihren Eltern wohnen können. Vor allem bei den Jungs ist das so. Das finde ich bedauerlich.

Welche Rolle spielt die Größe der Hochschule?
Wilcke Wenn ich an eine große Hochschule gehe, mit 40 000, 50 000 Studenten, muss ich mich zunächst fragen: Bin ich der Typ dafür? Passt das überhaupt zu mir? Oder fühle
ich mich da verloren? Werde ich von einer Großstadt zu sehr abgelenkt? Mache ich da nur noch Party? Da hat schon mancher gleich zu Beginn des Studiums den Anschluss verpasst. An kleineren Unis und auch an Fachhochschulen ist das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden oft viel persönlicher.

Gerade in den Ingenieurwissenschaften gibt es in den ersten Semestern hohe Abbruchquoten. Warum?
Wilcke Die Erstsemester nehmen das Studium nicht richtig ernst. Sie sind von der Schule auch nicht auf ein Studium vorbereitet worden.

Manchen ist wohl auch nicht klar, dass ein Studium der Ingenieurwissenschaften eine 60-Stunden-Woche erfordert, während man in Germanistik mit weniger auskommt, sich aber außerhalb des Studiums noch bilden sollte.

Wilcke Ja, ich finde, für einen Germanisten gehört es dazu, mal ins Theater zu gehen. Ich fürchte allerdings: Wenn ich in meinem Seminar an der Heine-Uni fragen würde, wer schon mal im Schauspielhaus war, würden sich nicht viele melden.

Wenn man das in einem Bewerbungsgespräch eingestehen muss, kommt das sicherlich nicht gut an.
Wilcke Etliche haben dann auch Schwierigkeiten, ihr Studium zu verteidigen. Wenn sie gefragt werden, warum sie ausgerechnet diese Fächer studiert haben, reagieren sie
oft mit einem Schulterzucken.

Sind Studierende enttäuscht von ihremStudium?
Wilcke Ja, manchmal, wenn sie feststellen, dass mit ihrem Studium kein fester Beruf verbunden ist. Die Einzigen, bei denen der spätere Beruf hundertprozentig feststeht,
sind die Zahnmediziner. Wenn ich aber ein Fach aus reinem Interesse wähle, muss ich zum einen während des Studiums eine berufliche Perspektive entwickeln und zum anderen auch wirklich hinter meinem Studienfach stehen. Ich kann mich immer wieder amüsieren über Germanistik-Studenten, die fragen: Müssen wir das ganze Buch
lesen?

Die Studenten fühlen sich offenbar noch als Schüler.
Wilcke Das merkt man auch daran, dass viele die Sprechstunde nicht besuchen, wenn sie ein Referat schreiben. Sie nutzen nicht die Chance, mit dem Dozenten zum Beispiel die Gliederung zu erörtern, bevor sie die schriftliche Arbeit beginnen. Am Ende reichen sie eine völlig planlose Hausarbeit ein. Die Studenten kommen selbst dann nicht in die Sprechstunde, wenn die Note feststeht und sie erfahren könnten, was an ihrer Hausarbeit gut oder schlecht war.

Schlagen sie auch sonst Hilfsangebote aus?
Wilcke Ja. Ein ganz schlimmer Fehler ist es, Einführungsveranstaltungen oder Vorkurse für Erstsemester zu verpassen. Das Wichtige daran ist, dass man seine Erstsemester-Kommilitonen und die Tutoren, das sind ältere Studenten, kennen lernt. Je größer die Uni ist, desto wichtiger ist es, dass man auf bekannte Gesichter trifft. Viele fühlen sich schon im ersten Semester so verlassen, dass sie bereits dann den Anschluss verlieren. Betroffen sind vor allem diejenigen, die täglich zwischen Wohnort und Hochschule pendeln. Da findet kein richtiges Studentenleben statt. Viele suchen gar keinen Kontakt.

Liegt das vielleicht daran, dass heute viele studieren, die für ein Studium nicht geeignet sind? Früher studierten zehn Prozent eines Jahrgangs, heute sind es 30.

Wilcke Es studieren tatsächlich einige, die von ihrer Begabung und ihrer Persönlichkeit her nicht an eine Hochschule gehören. Die Einführung des Bachelor hat die Hemmschwelle gesenkt. Das Studium dauert nur drei Jahre, und mancher, der in dieser Zeit ursprünglich eine Lehre machen wollte, entscheidet sich lieber für ein Studium: Das ist besser angesehen, man hat
mehr Freizeit, muss nicht jeden Morgen um acht Uhr am Arbeitsplatz sein und so weiter. Ich weiß da aber keine Lösung. Die Politik will diese große Masse an Studierenden. Mir tun die Studenten leid, die sich davon erst verleiten lassen und dann doch ihr Studium abbrechen. Ich halte mehr vom umgekehrten Weg: erst mal eine Ausbildung machen und dann, bei guten Abschlussnoten, ein Studium draufsatteln.

Wie sieht es mit dem Selbstmanagement der Studierenden aus — gibt es auch da Defizite?
Wilcke Ja, es hapert oft am Zeit-Management. Manche sind unfähig, Fristen einzuhalten. Oder sie packen sich ihren Stundenplan im ersten Semester zu voll.

Und wie steht es mit Praxiserfahrung während des Studiums?
Wilcke Viele berufen sich auf die Terminzwänge des Studiums, um zu begründen, dass sie keine Praktika machen. Sie haben auch Angst, sich bewerben zu müssen, sich von einem Arbeitgeber auch mal kritisieren lassen zu müssen; dabei vermittelt ein Praktikum nach meiner Erfahrung sehr viel Selbstbewusstsein. Ich sage da immer: lieber ein Jahr länger studieren und etwas gemacht haben. Und da sind wir auch wieder bei der Frage des Studienorts. Wenn ich in die Werbung will, bietet mir Düsseldorf mehr Praktikumsplätze als zum Beispiel Tübingen.

Heutzutage gilt es als selbstverständlich, für mindestens ein Semester ins Ausland zu gehen. Ist das in jedem Fall empfehlenswert?

Wilcke Da die Studenten alle sehr jung und häufig noch unselbstständig sind, finde ich es schon gut, dass sie mal ins Ausland gehen. Nur sollte der Auslandsaufenthalt mit Sachverstand geplant sein. Man muss nicht unbedingt das Erasmus- Programm in Anspruch nehmen; ich finde es nicht so wichtig, dass man an der Auslands-Uni eine Leistung erbringt, die unbedingt hier angerechnet wird. Für mich ist die Qualifikation, selbstständig klarzukommen, Eigeninitiative zu zeigen, viel wichtiger. Man kann als Betriebswirtschaftler zum Beispiel bei Henkel in Düsseldorf fragen, ob man in einer Auslandsniederlassung ein Praktikum absolvieren kann. Dann kann man später vielleicht sogar darauf verweisen, dass man schon mal an einem Projekt mitgearbeitet hat.

Nach Abschluss des Studiums muss man — Sie sprachen schon davon — möglichen Arbeitgebern plausibel machen, dass man seinem Studium einen berufsbezogenen Sinn unterlegt hat. Werden auch da Fehler begangen?
Wilcke Die Fehler sind dann in der Regel schon gemacht worden, indem man eben kein Praktikum vorweisen kann. Manchem fällt es schwer, den roten Faden in seinem Lebenslauf sichtbar werden zu lassen. Manchmal muss man ihn ein bisschen konstruieren. Im Studium geschieht vieles zufällig. Das ist gut so, weil das auch neue Perspektiven eröffnet. Viele zeigen sehr viel Engagement, haben wirklich tolle Erfahrungen gesammelt, aber es fällt ihnen schwer, das dann in einer Bewerbung als geplant darzustellen. Studenten blicken erstaunlich wenig auf den Arbeitsmarkt.

Ein Beispiel?
Wilcke Gerade bei Betriebswirtschaftlern werden Controller sehr gesucht, die wenigsten aber fassen das beruflich in den Blick. Die meisten wollen ins Marketing. Ich wundere mich auch, wie jemand, der sich für Maschinenbau interessiert, unbedingt Luft- und Raumfahrttechnik studieren will. Es gibt dafür nur einen einzigen Arbeitgeber in Deutschland. Ingenieure für Verpackungstechnik dagegen sind sehr gefragt. Noch ein Beispiel: Alle Jungs interessieren sich für Autos. Aber der Bau von Schienenfahrzeugen eröffnet womöglich viel ergiebigere Berufsperspektiven.

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