Unionspolitiker machen gegen neue Regeln mobil Ungeliebte Rechtschreib-Reform soll doch noch fallen

Wiesbaden (rpo). Jetzt haben sich die meisten eigentlich an die neuen Rechtschreibregeln gewöhnt, da sollen sie auch schon wieder abgeschafft werden. So lautet jedenfalls der Vorschlag mehrerer unionsgeführter Bundesländer.

Die Ministerpräsidenten dieser Länder haben den neuen Rechtschreibregeln den Kampf angesagt. Angeführt durch Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff sehen die Reformkritiker mit der neuen Rechtschreibung Sprachchaos und Beliebigkeit einziehen. Doch ihr Vorstoß hat nur geringe Aussicht auf Erfolg.

Hessens Kultusministerin Karin Wolff (CDU) brauchte keine prophetischen Gaben, um zu ihrer Einschätzung zu kommen. Der Beschluss, die Reform mit marginalen Änderungen zum 1. August 2005 endgültig in Kraft treten zu lassen, werde die Diskussion um die neuen Schreibregeln nicht beenden, sagte Wolff nach der letzten Konferenz der Kultusminister Anfang Juni in Mainz.

"Erhebliche Unsicherheit eingetreten"

Doch dass der einstimmig gefällte Beschluss schon nach wenigen Wochen ausgerechnet von den Regierungschefs in Frage gestellt werden würde, hat sich wohl niemand träumen lassen.

"Mit der Rechtschreibreform ist erhebliche Unsicherheit eingetreten", sagte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) der "Bild"-Zeitung: "Es kann nicht sein, dass im Ergebnis jeder schreibt, wie er will". Und sein niedersächsischer Kollege Wulff erklärte im gleichen Blatt: "Wir dürfen nicht zulassen, dass ein so hohes Kulturgut wie die deutsche Sprache verhunzt wird." Auch der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), und sein saarländischer Kollege Peter Müller gelten als Reformgegner. Nun soll die Ministerpräsidentenkonferenz im Herbst entscheiden, wie es weiter geht.

"Für uns Verlage eine Katastrophe"

Eine große Mehrheit der Bevölkerung lehnt die neue Rechtschreibung auch sechs Jahre nach dem Beginn der im Sommer 2005 endenden Übergangsphase ab. Dabei ist das Reformwerk nur für eine Minderheit verbindlich. Nach den neuen Regeln muss ausschließlich an den Schulen sowie im Bereich der öffentlichen Verwaltung geschrieben werden. Es wären vor allem also die Schulkinder, die von einem Aus der neuen Rechtschreibung betroffen wären.

Schüler, die heute in der gymnasialen Oberstufe sind und sich vor sechs Jahren auf die neuen Schreibregeln eingestellt haben, müssten nun bis zum Abitur nochmals umlernen. "Eine Rücknahme der Reform ist nicht sinnvoll", warnt die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Doris Ahnen (SPD). Ein solcher Schritt sei den Schülern nicht zumutbar, erklärt die rheinland-pfälzische Bildungsministerin.

Der Mainzer Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) wird noch etwas deutlicher: Als "einfältiger Populismus" bezeichnet er den Vorstoß von Stoiber und Wulff. Die Reform sei ein abschlossener Prozess und es sei nicht zu verantworten, jetzt noch einmal alles komplett zu ändern. Beck warnt vor einem erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden, sollten sich die Reformgegner durchsetzen.

Dies beträfe vor allem die deutschen Schulbuchverlage. Rund 1.000 Titel, rechnet der Verband Bildungsmedien vor, sind in den vergangenen Jahren Zug um Zug von der alten auf die neue Rechtschreibung umgestellt worden. Würde die Reform gekippt, wären Investitionen von 60 Millionen Euro nötig, um die Programme der Verlage wieder auf die alten Schreibweisen umzustellen.

Schwerer aber würde der Verlust der Lagerbestände bei den Schulbuchverlagen wiegen. Scheitere die Reform auf den letzten Metern, wären Schulbücher im Wert von rund 200 Millionen Euro praktisch über Nacht wertlos, erklärt Verbandssprecher Rino Mikulic: "Das wäre für uns Verlage eine Katastrophe."

Insider glauben, dass es letztlich kein Zurück geben wird. Selbst wenn es den Reformkritikern gelingt, die Rechtschreibreform nochmals auf die Tagesordnung der Ministerpräsidentenkonferenz im Herbst zu heben, dürfte bei den anschließenden Beratungen nicht viel heraus kommen. Denn für einen Beschluss, das Reformwerk zu kippen, wäre Einstimmigkeit erforderlich. Und die ist nicht in Sicht.

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