Laut BKA-Studie gehört Gewalt zum Schulalltag Studie: Schläge und Tritte in der Schule sind Alltag

Frankfurt/Main (rpo). Beleidigungen, Tritte, Schläge gehören inzwischen zum Alltag auf Schulhöfen. Fast ein Drittel aller Jungen im Alter von 13 bis 14 Jahren haben im letzten halben Jahr vor einer Befragung im Auftrag des Bundeskriminalamts einen Mitschüler geschlagen oder getreten.

Ein besonders krasser Fall wird ab Dienstag in Hildesheim vor einem Jugendgericht verhandelt: Eine ganze Schulklasse muss sich wegen der Misshandlung eines Klassenkameraden verantworten. Die elf Angeklagten der Werner-von-Siemens-Berufsschule waren zur Tatzeit zwischen September 2003 und Februar 2004 zwischen 16 und 18 Jahre alt. Sie alle werden der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung beschuldigt; vier mutmaßliche Haupttäter sitzen seit gut drei Monaten in Untersuchungshaft. Ihr Opfer, der heute 18-jährige Dieter, wurde immer wieder geschlagen und gedemütigt, musste sich laut Anklage nackt ausziehen, Zigarettenfilter kauen, Kreide essen und sich dabei auch noch filmen lassen. Insgesamt 26 Einzeltaten hat die Staatsanwaltschaft recherchiert, begangen wurden sie demnach immer von mehreren Angeklagten in jeweils wechselnder Zusammensetzung.

Solche spektakulären Fälle sind im Schulalltag jedoch noch die Ausnahme. Es überwiegen leichte und gelegentliche Aggressionen, wie die vom Erlanger Psychologieprofessor Friedrich Lösel durchgeführte Befragung von 1.100 Schülern ergab. Bei der Studie im Auftrag des Bundeskriminalamts gaben doch immerhin 13 Prozent ein Raub- oder Erpressungsdelikt zu, acht Prozent haben schon einmal ein Kind mit Messer oder Pistole bedroht.

Laut der im Dezember veröffentlichten Studie zeigen Mädchen weniger aggressives Verhalten und werden auch seltener Opfer von Gewalt. Statistisch fast gleichauf liegen sie aber bei Fehlverhalten wie Beschimpfen, Klauen, Drogenkonsum und Schuleschwänzen.

Insbesondere das Verrohen des Umgangstons hat nach Einschätzung der Psychologen eine Signalfunktion, da verbal aggressive Jugendliche Gewalt nicht nur billigen, sondern auch öfter anwenden. Das Schul- und Klassenklima sei daher sehr bedeutsam; große Klassen fördern Aggressionen hingegen nicht in messbarem Ausmaß.

Das Forscherteam fand zudem heraus, dass die Gruppe der so genannten "Bullies" - also Jugendliche, die andere regelmäßig attackieren und quälen, ohne selbst in besonderem Maße Opfer zu werden - auf zirka fünf Prozent eingegrenzt werden kann. Unter ihnen sind tendenziell häufiger Nichtdeutsche, während deutsche Jungen signifikant häufiger Gewaltopfer werden als ausländische.

Verschiedene Risikofaktoren im persönlichen und sozialen Bereich können begünstigen, dass einzelne Schüler zu "Bullies" werden. So erhöht sich etwa die Aggression und Delinquenz, wenn Kinder aus Familien kommen, in denen die Eltern geschieden oder arbeitslos sind. "Wesentlich negativer" wirken den Forschern zufolge aber andere familiäre Merkmale wie das Kommunikationsklima, also etwa eine strenge oder widersprüchliche Erziehung ohne emotionale Wärme.

Insbesondere besonders aggressive Jugendliche neigen dazu, ihren Mitmenschen eine feindliche Einstellung zuzuschreiben, wie die Studie aufzeigt. Da ihnen aber kommunikative Mittel oftmals fehlen, wird auf diese vermeintliche Gefährdung mit Gewalt reagiert.

Großen Einfluss auf die Gewaltbereitschaft hat auch die Zugehörigkeit zu Cliquen, während entgegen dem landläufigen Urteil die Intensität sportlicher Aktivitäten oder auch das Hocken vor dem Computer keinen messbaren Einfluss auf die Delinquenz haben. Sehr deutlich der Fall sei dies aber beim Konsum gewalthaltiger Video-, Fernseh- und Fernsehfilme, schreibt der Erlanger Professor.

Rollenspiele und Streitschlichtung

Ebenso vielfältig wie die Ursachen der Gewaltbereitschaft sind die konkreten Gegenstrategien, die die Forscher vorschlagen. Relativ leicht umzusetzen und doch bedeutsam sei die Schaffung eines positiven Schul- und Klassenklimas durch Verhaltenstraining wie Rollenspiele und Streitschlichtung und die Einhaltung gemeinsam aufgestellter Regeln. Dazu gehöre auch die "konsequente, aber nicht feindselige Reaktion bei Regelverstößen und Erwachsene, die auch als Autoritäten handeln", heißt es in der Studie.

Freizeitpädagogische Maßnahmen wie Abenteuer- oder Sportprogramme sollten nicht nur auf Problemjugendliche zielen, sondern auch unauffällige Schüler mit einbeziehen, raten die Wissenschaftler. Die pauschale Verdammung gewalthaltiger Computerspiele und Filme sei kein Allheilmittel. Vielmehr sei ein konsequenter Jugendschutz notwendig und Eltern müssten dafür sensibilisiert werden, dass ihre Kinder durch extensiven Medienkonsum vom Familienleben abgekoppelt werden können.

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