"Last-Minute-Hausarbeiten" Studenten und die Angst vor ersten Zeilen

Münster · Probleme mit dem Schreiben zu haben, das war bei Studenten lange ein Tabu. Immer mehr Unis wollen das Thema aus der Angst-Ecke holen. In Münster macht eine Woche der "Last-Minute-Hausarbeiten" den Anfang.

Diese Situation kennt jeder Student: Die Wäsche ist gewaschen, das Bad geputzt, eingekauft und aufgeräumt hat man längst, nur mit der bald fälligen Hausarbeit ist man keinen Schritt weiter. "Theoretisch weiß ich ja, dass es besser ist, früher anzufangen, aber in der Praxis schaffe ich es dann doch nicht", sagt Caroline, Studentin aus Münster. Ihren Namen will Caroline lieber nicht verraten - ihr Zwang, Hausarbeiten aufzuschieben ist häufig immer noch ein Tabuthema an der Uni.

Prokrastination nennt sich das Aufschieben von unangenehmen Arbeiten in der Fachsprache. Die Uni Münster will Abhilfe schaffen: Individuelle Beratung, Schreibkonferenzen, Workshops und Tipps, wie man das ewige Aufschieben in den Griff bekommt gibt es dort für Studenten wie Caroline. Denn Aufschieben, das kenne zwar jeder, sagt Julia Elen Beumler von der "Prokrastinationsambulanz", die Studenten mit "Aufschieberitis" berät. Dass das Aufschieben auch krank machen könne und dass es Hilfe gebe werde aber erst langsam thematisiert.

Der Bedarf an Beratung steigt

Frankfurt, Berlin, Darmstadt, Köln - viele Universitäten haben die Schreibprobleme inzwischen erkannt und bieten Beratung. Und der Bedarf steige, sagen die Schreibexperten an allen Hochschulen, gerade in den verschulten und schreiblastigen Bachelorstudiengängen.

In Münster ist die Woche der "Last-Minute-Hausarbeiten" ein erster Versuch, die unterschiedlichen Angebote zu vernetzen. Etwa 40 Studierende sind gekommen, schreiben und diskutieren über Texte, Thesen und Termine. Die Psychologinnen Beumler und Katrin Hönen helfen den Studenten, die Angst vor den ersten Zeilen zu überwinden, realistisch zu planen, rechtzeitig anzufangen. Wenn man es nicht hinkriegt, hat das nichts mit Willensschwäche oder Faulheit zu tun, sagt Beumler.

Womit dann? Für Schreibberater wie Johannes Berning von der Uni Münster ist es vor allem der Irrtum, Studierende wüssten automatisch, wie man wissenschaftliche Arbeiten schreibt: "Wenn Studierende gerade aus der Schule kommen, dann können sie das noch nicht, aber wir setzen es trotzdem voraus", sagt er. Das müsse sich ändern.

"Wir versuchen unseren Lehrenden beizubringen, wie sie Studenten wissenschaftliches Schreiben vermitteln können", sagt Maike Wiethoff, Leiterin des Schreibzentrums an der Ruhr-Universität in Bochum. "Wenn das klappt, ist das viel nachhaltiger."

Bei den Betroffenen, den Studierenden, bleiben Schreibblockaden aber eher Tabuthemen. "Ich habe Angst davor, anzufangen, Angst davor, an den eigenen Ansprüchen zu scheitern", sagt Lehramtsstudentin Leonie. Wie Caroline möchte auch sie ihren Namen nicht verraten.
"Weil das schon irgendwie eine Schwäche ist", sagt sie und wird rot. In der Woche der "Last-minute-Hausarbeiten" hat sie sich das zum ersten Mal eingestanden. Noch immer ist sie etwas erstaunt: "Dass es anderen Studenten auch so geht, dass die das auch kennen, habe ich nicht gedacht. Das hilft schon."

Austausch als Befreiung

Am Schreibzentrum der Uni Bochum spürt Maike Wiethoff diese diese Erleichterung häufig: "Wie befreiend es sein kann, sich einfach nur auszutauschen. Das finde ich ganz schrecklich, dass dieser Austausch ansonsten nicht stattfindet." Ein Problem, das auch in Münster immer wieder auftaucht. Viele, die sich beraten lassen, sind akute Notfälle - Studenten, die am nächsten Tag ihre Arbeit abgeben müssen.

Bei Caroline sind es noch fünf Tage bis zur Abgabe. Aufschieben, bis es nicht mehr anders geht, zwei Tage und Nächte durchschreiben, irgendwas, irgendwie - das sei bei ihr eher Normalfall als Ausnahme, sagt sie. "Anzufangen, das überfordert mich so lange, bis es nicht mehr anders geht", sagt die 28-Jährige. Die Workshops und die Hilfe bei "Last-Minute-Hausarbeiten" soll das ändern. Fünf Seiten will sie bis morgen schreiben. Das hat sie sich fest vorgenommen, um den inneren Aufschiebedrang zu überwinden.

(dpa/lnw/anch/das)
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