Präsenzpflicht an Universitäten Sinnvoll oder überflüssig?

Düsseldorf (RP). Selten sind der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) und die Hochschulleitung einer Universität einer Meinung. Die Anwesenheitspflicht stellt eine Ausnahme dar: In vielen NRW-Unis sind sich sowohl die Studentenvertreter als auch das Rektorat einig, dass eine allgemeine Präsenzpflicht bei Vorlesungen und Seminaren nicht nötig ist.

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Wer Nebenjob, Familie und Uni unter einen Hut bringen muss, gerät oft ins Schleudern, wenn er sich regelmäßig in der Vorlesung zeigen will. Manche Studenten helfen sich gegenseitig, indem sie die Unterschrift des anderen kopieren. Vor allem in Vorlesungen, die mit Power-Point-Präsentationen unterstützt werden, reden sich Dozenten nahezu in einen Rausch — und beten das herunter, was auf den Folien steht, die sowieso im Internet zur Verfügung gestellt werden.

Doch die regelmäßige Anwesenheit an der Uni hat auch Vorteile: "Die Studierenden haben unmittelbar teil an der Vermittlung des neu generierten Wissens", sagt Franz Bosbach, Prorektor für Studium und Lehre an der Universität Duisburg- Essen. "Sie erleben die Uni als Ort des Dialoges von Lehrenden und Studierenden — immer auf der Suche nach Erkenntnis und Wahrheit." Außerdem würden Studierende, wenn sie immer in die Vorlesung kämen, eine umfassende Bildung erhalten, die den Blick über den Tellerrand ermöglicht.

Aufgrund der Bologna-Reform und der verschulten Bachelor-Studienfächer, kritisieren die Asten landesweit, dass die Studenten verlernen, selbst zu denken und zu bewerten. Bosbach: "Sinnvoll erscheint mir ein Mix: Einerseits gibt es Lehrangebote für den Teil des Studiums, der Seminarcharakter hat und die Anwesenheit erfordert. Vorlesungen, die nicht unbedingt die Anwesenheit erfordern, sollten so attraktiv gestaltet werden, dass Studierende ungern auf sie verzichten."

Doch obwohl die Leitung vieler Unis die Anwesenheitspflicht in Vorlesungen ablehnt, kommt es in einigen Unis zu Verwirrung: Die Regelungen werden in verschiedenen Fakultäten auch unterschiedlich umgesetzt. Vor allem für Bachelorstudenten, die das Abi frisch in der Tasche haben und aus der Schule einen Stundenplan mit Anwesenheitspflicht gewohnt sind, ist es schwer, ihren eigenen Lernweg zu finden.

An der Universität Duisburg-Essen sehen die Rahmenprüfungsordnungen keine Anwesenheitspflicht vor. In Einzelfällen kann jedoch die Prüfungsordnung eines einzelnen Fachs durchaus beinhalten, dass Studierende anwesend sein müssen. "In Vorlesungen können sich die Studierenden den Stoff auch anders aneignen", sagt Bosbach. "In Seminaren und Laborpraktika, wo die Mitarbeit einen wichtigen Teil der Leistung darstellt, ist auch eine Anwesenheitspflicht sinnvoll." Auch Jan Bauer, Sprecher des Asta Essen, ist dieser Meinung. Eine grundsätzliche Präsenzpflicht hält er nur dann für sinnvoll, wenn die Teilnehmer in Interaktion treten müssen, also Präsentationen halten oder Diskussionen führen. "Bei den Vorlesungen sollte die Uni an neue Informationsquellen denken", sagt er. Er schlägt Videoübertragungen vor, womit gleichzeitig das Problem der Raumknappheit behoben wäre.

Für den Asta der Ruhr-Universität Bochum (RUB) zählt das Thema Präsenzpflicht zu den wichtigsten der Hochschulpolitik. "Es hängt grundsätzlich davon ab, was für ein Kurs das ist", sagt Felix Bremer, Sprecher des Asta in Bochum. "Die Bachelorstudenten kennen das Studium ohne Anwesenheitspflicht fast nicht. Deswegen stört es sie auch nicht so sehr." Dennoch sieht Bremer das Problem des verschulten Studiums durch die Anwesenheitslisten verstärkt. In den Ingenieurwissenschaften gebe es keine Anwesenheitspflicht, bei den Geisteswissenschaftlern hingegen kämen die Listen flächendeckend zum Einsatz. "Wenn die Lehre gut ist, dann braucht man keine Listen. Denn zu guten Profs kommen die Studenten freiwillig." Bremer kritisiert, dass es keine einheitliche Regelung an der RUB gibt.

Vor einem ähnlichen Problem steht die Universität Köln. Gunter Zander vom Studiendekanat der Wirtschaftswissenschaften, der größten Fakultät, sagt: "Bei uns müssen die Studierenden nur in Blockseminaren regelmäßig anwesend sein." Er weiß aber auch, dass in Köln jeder Fachbereich anders mit der Präsenzpflicht umgeht. Das führt natürlich zu Verwirrung und Verunsicherung der Studierenden. Nur an der Westfälischen Wilhelms- Universität Münster scheint das Thema geklärt zu sein: Auf einem Bologna-Treffen im Jahr 2010 wurde beschlossen, dass es keine generelle Anwesenheitspflicht gibt. "Ausnahmefälle müssen schriftlich begründet und beantragt werden", sagt Sprecher Norbert Robers. Das sei sinnvoll in Seminaren, in denen die sprachlichen Fähigkeiten verbessert werden, und bei Laborpraktika. "Studierende können auch eingreifen, indem sie sich wegen unangemessener Anwesenheitspflicht beschweren."

(RP)
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