Dozenten-Leben Schlechte Atmosphäre

Ich glaube nicht, dass es mir gelingen könnte, alle Buchtitel und Internet-Tipps zum Thema Bewerbungsgespräch aufzuzählen. Und alle diese Ratgeber wenden sich an Bewerber, die sich möglichst vorteilhaft bei ihrem künftigen Arbeitgeber präsentieren wollen. Doch wer kümmert sich eigentlich um die andere Seite, die der Arbeitgeber? Sie glauben, das sei nicht nötig? Weit gefehlt. So fuhr jüngst Anne, eine Hochschulabsolventin mit Doktortitel und Berufserfahrung, zum Auswahlgespräch an eine Universität. Da schon in der Einladung jeglicher Hinweis auf Anfahrt und Parkmöglichkeiten fehlte, musste sie sich selbst informieren und kam pünktlich, gut vorbereitet und selbstverständlich schick gekleidet zum Termin. Der fand nicht in einem Büro, sondern in einem schlecht gelüfteten Seminarraum statt, in dem sie sechs Personen erwarteten. Die hatten sich bekleidungsmäßig der Schäbigkeit des Raumes angepasst, empfingen die Bewerberin in Pulli und Strickjacke. Der ranghöchste Professor murmelte zwar ein paar entschuldigende Worte über den hässlichen Raum, setzte dann aber hinzu, man habe nicht eigens die Tische umgestellt. Sechs Erwachsene, zugegeben Akademiker, sind nicht in der Lage, zwei oder drei Tische so zusammenzurücken, dass man in einer großen Runde sitzen kann? Anne, allein vor die Tafel gesetzt, kam sich vor wie eine Angeklagte vor Gericht. Und schon begann das Kreuzverhör, in dessen Verlauf klar wurde, dass keiner ihre Bewerbung gelesen hatte: Ach, Sie haben noch gar nicht mit Grundschülern gearbeitet? Nein, nur in der Oberstufe am Gymnasium, wie ich Ihnen geschrieben habe.

Auch eine nette Geste, wie der Bewerberin ein Glas Wasser anzubieten, blieb aus. Auf dem Heimweg, als sie schon den Seminarraum-Kreidestaub von ihrem Mantel geklopft hatte, ärgerte sich Anne nur darüber, dass sie ihre Bewerbung nicht gleich wieder mitgenommen hatte. Doch das wäre ihr, sagt sie, viel zu unhöflich erschienen.

(RP)
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