Münster Als Senior zum Doktortitel
Münster · In Nordrhein-Westfalen streben 243 der Studierenden jenseits von 65 eine Promotion an.

So geht die perfekte Bewerbung
16 Jahre lang hat Sabine Omland an ihrer mehr als 700 Seiten starken Dissertation gearbeitet. Sie kopierte in der Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars in Trier aufwendig sämtliche Ausgaben der nationalsozialistischen Schülerzeitschrift "Hilf mit!". "Ich wollte alle Jahrgänge untersuchen, inwieweit hier auf politische Ereignisse Bezug genommen wird", sagt Omland. Der lange Titel ihrer Dissertation: "NS-Propaganda im Unterricht deutscher Schulen 1933-1943. Die nationalsozialistische Schülerzeitschrift ,Hilf mit!' als Unterrichts- und Propagandainstrument". Die Drensteinfurterin gab das Werk im April 2013 bei ihrem Doktorvater in Münster ab.
Wenn die ehemalige Lehrerin und Fachleiterin mit großem Ernst über ihre Forschung spricht, fällt es schwer zu glauben, dass Sabine Omland 73 Jahre alt ist. Eigentlich hätte sie in den vergangenen neun Jahren ihre Pension genießen können, aber sich zurückziehen, das kam nicht infrage. "Als ich gesehen habe, wie schlimm die Jugendlichen verführt wurden, dachte ich, das ist so wichtig, das muss erforscht werden", sagt Omland.
Mit ihrer Lust zu lernen ist Omland nicht allein. Zunehmend zieht es Senioren an die Hochschulen. Waren laut Statistischem Landesamt NRW im Wintersemester 2008/2009 noch 738 Studierende an nordrhein-westfälischen Universitäten 65 oder älter, so lag ihre Zahl im Wintersemester 2013/14 bereits bei 1035. 243 von ihnen strebten eine Promotion an. Allein an der Universität Münster sind zurzeit 80 Promovierende 65 Jahre und älter. Hinzu kommen landesweit noch 4522 Gasthörer ab 65, die keinen Abschluss anstreben.
Viele Universitäten in NRW haben auf den Wissensdurst der Senioren reagiert und bieten spezielle Programme an. In Münster zum Beispiel können beim "Studium im Alter" die Teilnehmer unabhängig von ihrem Schulabschluss ausgewählte Veranstaltungen als Gasthörer besuchen und eigens für sie konzipierten Vorlesungen beiwohnen, allerdings ohne akademischen Abschluss. Im Wintersemester 2013/14 verzeichnete die Uni Münster rund 2200 Studierende im Alter. Für die Universitäten seien die Älteren zwar einerseits eine zusätzliche Belastung, andererseits aber eine Chance, sagt Bernhard Schmidt-Hertha, Direktor des Instituts für Erziehungswissenschaft an der Universität Tübingen. Im vergangenen Jahr leitete er das Projekt "CiLL" (Competencies in Later Life) am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung, das die Alltagskompetenzen Älterer untersuchte.
"Mit den Senioren holen sich die Hochschulen viel Lebenserfahrung und Kompetenz, die sie wiederum gezielt den jüngeren Studierenden zugute kommen lassen können", so der Professor. Die Senioren müssten sich jedoch die Frage stellen, was sie der Gesellschaft zurückgeben wollen. "Wer promoviert, stellt seinen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn der Allgemeinheit zur Verfügung. Oft engagieren sich diejenigen, die im Seniorenstudium aktiv sind, nebenbei noch ehrenamtlich."
Auch Erwin Teufel, der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, war drei Jahre lang Seniorstudent. Nach Aufgabe seines Amtes, im Oktober 2005, begann er ein Philosophie-Studium an der kirchlichen Hochschule für Philosophie München, das er jedoch im Februar 2008 abbrach.
Ende vorigen Jahres ist Sabine Omlands Dissertation veröffentlicht worden. Bewertet wurde sie mit "Magna cum laude", also sehr gut. "Hätte mir jemand vorher gesagt, wie lange das dauern würde, hätte ich es vielleicht nicht gemacht, aber mir liegt das Thema doch zu sehr am Herzen", sagt Omland. So ganz hat es sie deshalb auch noch nicht losgelassen. Die erste Anfrage für einen Vortrag liegt bereits vor. "Wenn man noch fit ist, warum soll man das dann nicht machen?", fügt die Lehrerin hinzu.