Azubi und Student Praxis macht dualen Studiengang attraktiv

Krefeld/Mönchengladbach · Vor 30 Jahren wurde an der Hochschule Niederrhein die "Kooperative Ingenieur-Ausbildung" entwickelt. Sie verbindet Studium und Ausbildung. Heute gibt es in Deutschland mehr als 900 duale Studiengänge. Der Praxisbezug ist es, der die "Studzubis" reizt, sich der Doppelbelastung auszusetzen.

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Wenn Amelie Hiestand sich das Leben ihrer Kommilitonen ansieht, wird sie manchmal neidisch: "Die haben meistens einen Tag in der Woche frei und zwischen den Vorlesungen immer etwas Zeit. Und in der vorlesungsfreien Zeit haben sie auch wirklich Ferien." Für Amelie gilt das nicht.

Sie absolviert im dritten Semester den Bachelorstudiengang Textil- und Bekleidungstechnik an der Hochschule Niederrhein. Allerdings nicht als Vollzeit-Studium wie ihre Kommilitonen: Amelie studiert dual, das heißt, sie macht gleichzeitig zum Bachelor noch eine Ausbildung zur Textillaborantin. Drei Tage in der Woche arbeitet Amelie Hiestand in der Öffentlichen Prüfstelle für das Textilwesen in Mönchengladbach und untersucht dort Bekleidung, Möbelstoffe oder Auto-Sitzbezüge zum Beispiel auf Farbechtheit oder Brennbarkeit.

Lernen am Wochenende

Die beiden übrigen Tage sind für das Studium reserviert, dann stehen Textile Technologien, Mathe, Physik und Chemie auf dem Stundenplan. Abends und am Wochenende muss gelernt werden — in der Berufsschule und für die Uni. "Nach dem Abitur habe ich ein Praktikum in einem Modeunternehmen gemacht", sagt die 21-Jährige. "Ich wollte etwas mit Textilien studieren, was nicht in den Bereich Design geht."

Der Studiengang in Mönchengladbach sei einer der ganz wenigen, die sich auf die Textiltechnik beziehen, also ingenieurwissenschaftlich ausgerichtet sind. Dafür ist Amelie eigens vom Bodensee an den Niederrhein gezogen. Die Vorteile des dualen Studiums sind für die Studentin der starke Praxisbezug und die guten Berufsaussichten. "Meine Kommilitonen, die nicht dual studieren, können das, was wir in der Theorie gelernt haben, nicht sofort praktisch umsetzen. Wenn es in der Vorlesung zum Beispiel um bestimmte Fasern oder Garne geht, kann ich dieses Wissen gleich in der Prüfstelle praktisch unterfüttern."

Natürlich sei der duale Weg stressig, so Amelie Hiestand. "Aber dafür hat man später bei der Bewerbung um die wenigen Jobs in der Branche Vorteile, weil man praktische Erfahrungen mitbringt. Man hat schon in einem Labor gearbeitet, kennt sich mit Normen und Richtlinien in der Qualitätssicherung aus."

Der hohe Praxisbezug, die Sicherheit im Studium durch die bezahlte Ausbildung und die besseren Karrierechancen sind einer aktuellen Studie der Universität DuisburgEssen zufolge auch deutschlandweit die Hauptmotive für die Aufnahme eines dualen Studiums. 94,5 Prozent der Befragten nennen die Praxisnähe als Motiv. Im Jahr 2011 waren fast 61 200 junge Menschen in Deutschland in einem der 929 dualen Studiengänge eingeschrieben. Damit ist die Zahl der Fächer in den vergangenen Jahren um mehr als 70 Prozent gestiegen. Als Frau ist Amelie Hiestand bei den dualen Studenten in der Minderheit: 83 Prozent der in der Duisburg-Essener Studie befragten "Studzubis" sind Männer.

Start vor 30 Jahren

Als "Krefelder Modell" startete die Kooperative Ingenieur-Ausbildung (KIA) vor 30 Jahren an der Hochschule Niederrhein. Die Studiengänge Chemieingenieurwesen und Maschinenbau waren 1982 die ersten, die in Verbindung mit einer Ausbildung dual angeboten wurden. Heute gibt es in Krefeld und Mönchengladbach außerdem die dualen Studiengänge Chemie und Biotechnologie, Elektrotechnik, Mechatronik, Verfahrenstechnik, Textil- und Bekleidungstechnik, Betriebswirtschaft, Wirtschaftsinformatik, Steuern und Wirtschaftsprüfung sowie Health Care Management.

Laut der Studie der Uni Duisburg-Essen sind bis heute zwei Drittel der angebotenen dualen Studiengänge in den Ingenieuroder Wirtschaftswissenschaften angesiedelt. Nach viereinhalb Jahren — also neun Semestern — wird Amelie Hiestand ihren Bachelorabschluss in der Tasche haben, ein Jahr nach ihren Kommilitonen, die in Vollzeit studieren. Ihre Ausbildung schließt sie schon nach zwei Jahren ab.

"In der Regel kann man in seinem Ausbildungsbetrieb dann weiter als Werkstudent arbeiten — in der Prüfstelle für das Textilwesen also als Laborant. So verliert man den Praxisbezug nicht und verdient weiter Geld, um das Studium zu finanzieren. Denn während der Ausbildungszeit bekommt man schließlich auch die ganz normale Ausbildungsvergütung", sagt Hiestand.

Die Zahl der am dualen Studium beteiligten Unternehmen hat sich von 2005 bis 2011 bundesweit von knapp 19.000 auf fast 41.000 mehr als verdoppelt. Denn auch sie genießen einen Vorteil: Sie binden in Zeiten des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels hoch motivierte und überdurchschnittlich engagierte Hochschulabsolventen frühzeitig an sich.

Statt praxisferner Bewerber stellen sie junge Fachkräfte ein, die sie selbst ausgebildet und damit bestens kennengelernt haben. Damit decken sie ihren Bedarf an akademisch vorgebildeten Führungskräften mit hoher Praxisorientierung.

(anch)
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