Interview Marc Gennat Ein Professor will Klausuren abschaffen

Ein Professor an der Hochschule Niederrhein hält Klausuren nicht für die beste Prüfungsform. Dafür, dass er sie durch Projektarbeiten ersetzen will, bekommt er vom Land 50.000 Euro.

Krefeld Aufgaben auswendig lernen, zur Klausur aufs Blatt bringen und schnell wieder vergessen - so verfahren eine Menge Studenten, wenn es darum geht, eine Prüfung zu bestehen. Dies hat auch Marc Gennat festgestellt, als er vor zwei Jahren als Professor für Automatisierungstechnik an die Hochschule Niederrhein kam. Gennat will das nun ändern: Mit einer Förderung für Innovationen in der digitalen Hochschullehre von Land und Stifterverband möchte er die Klausuren abschaffen und durch eine praktische Prüfung ersetzen.

Wie werden die Studenten denn bisher geprüft?

Gennat In meinem Fach, der Mess- und Regelungstechnik, wird natürlich höhere Mathematik angewandt. Es gibt Klausuren mit Text- und Rechenaufgaben. Viele Studenten lernen einfach die Aufgaben auswendig, haben aber nicht verstanden, worum es geht, können das Ganze also nicht kompetent anwenden. Mein Doktorvater hat einmal gesagt: Prüfungen sind auch dazu da, etwas zu lernen. Früher dachte ich, das sei nur ein Spruch. Heute verstehe ich den tieferen Sinn. Die Studenten sollten in Prüfungssituationen tatsächlich dazu kommen, Dinge zu verknüpfen und so neue Ideen selbst zu entwickeln.

Was wollen Sie ändern?

Gennat Viele Studenten schrecken vor der höheren Mathematik zurück. Sie haben Angst, sie anzuwenden. Dabei ist sie nur ein Mittel, um technische Prozesse zu verstehen und zu steuern. Die Regelungstechnik kommt in allen Bereichen des täglichen Lebens vor. Zum Beispiel, wenn wir beim Tempomat im Auto die Geschwindigkeit festlegen wollen. Dazu braucht es vernünftige Reglereinstellungen - und meine Studenten sollen wissen, mit welchen Methoden man diese erreicht. Ob sie das wissen, kann ich aber nicht mit den üblichen Klausur-Aufgaben herausfinden, die nur Rechenschritte abfragen. Dafür gehen diese nicht weit genug.

Welche Alternativen schlagen Sie vor?

Gennat Ich möchte das Wissen meiner Studenten demnächst in Projektarbeiten überprüfen. Zwei oder drei Studenten bekommen jeweils eine Aufgabe, an der sie zwei Wochen arbeiten können. Und zwar im Rahmen einer Computersimulation oder an einem Demonstrator, also an einem Modell. Sie sollen dann hieran die regelungstechnischen Methoden anwenden, die sie in der Vorlesung gelernt haben. Man könnte beispielsweise ein Kraftwerk simulieren, in das man eine Störung programmiert, so dass die Verbrennung nicht mehr korrekt abläuft. Die Studenten müssen den Fehler finden und das Kraftwerk wieder so einstellen, dass es optimal läuft.

Mit dieser Art der Prüfung sind sie nah an der Praxis.

Gennat Richtig. Die Studenten rechnen nicht nur Übungsaufgaben, sondern wenden Methoden direkt an - das wird später im Beruf auch verlangt. Sie probieren sich aus - und sie können in der Prüfung Fehler machen. Diese sind auch eine Chance, denn sie haben Zeit, um diese Fehler selbst zu korrigieren und daraus Erkenntnisse abzuleiten. Zudem profitieren die Studenten von der Gruppenarbeit, vom Austausch mit Kollegen. Diese Kopplung von Forschung und Employabilty, also Beschäftigungsfähigkeit, ist mir wichtig. Die Studenten lernen Dinge, die für ihren späteren Job relevant sind, anstatt Formeln zu pauken und wieder zu vergessen.

Wie wollen Sie aber bei einer Gruppenarbeit den Einzelnen bewerten?

Gennat Das ist in der Tat noch eine offene Frage. Ich bin mit internationalen Experten für dieses Projekt im Gespräch, wir tauschen uns dazu aus. Man könnte beispielsweise am Ende der Projektarbeit eine Abschlusspräsentation machen, und jeder Studierende wird in einem Interview noch einmal befragt. Ich habe übrigens nicht behauptet, dass diese Prüfungsform fairer ist oder man damit bessere Noten erzielt. Aber der Lernerfolg wird ein anderer sein. Und genau daran messen uns die Studenten und deren Arbeitgeber.

Derzeit lernen ihre Studenten ja schon wieder für die anstehende Klausurenphase. Wann könnte denn die neue Prüfungsform an den Start gehen?

Gennat Ich plane, im Februar 2018 - also genau in einem Jahr - das Praxisprojekt als alternative Prüfung anzubieten. Bis dahin muss ich eine Reihe an Simulatoren und Demonstratoren entwickeln - dafür wird dann auch das Fördergeld eingesetzt. Außerdem müssen wir an der Hochschule entsprechend die Prüfungsordnungen anpassen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass sich dieses Projekt in anderen Fachrichtungen durchsetzen wird. Für Fächer wie Mechanik, Elektrotechnik und CAD - also Konstruktion - wäre das ebenso machbar und ein echter Entwicklungssprung in der Ausbildung von Ingenieuren. Prüfungen mit Erkenntnisgewinn eben. Zuerst muss allerdings mein Vorhaben erfolgreich umgesetzt werden, was mit den knappen Personalressourcen an Hochschulen eine echte Herausforderung ist.

(RP)
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