Eifersucht Ein Drama namens Geschwisterchen

Hannover/Fulda/Buxtehude (rpo). Was für Mama und Papa dann schon fast Routine ist, kann für viele Erstgeborene ein Riesenproblem darstellen: Ein zweites Kind kündigt sich an. Plötzlich ist die Nummer eins in der Geburtenfolge nicht mehr die uneingeschränkte Nummer eins in Sachen Zuwendung und Im-Mittelpunkt-Stehen. Da müssen Eltern Fingerspitzengefühl beweisen.

Das Erstgeborene beobachtet - je nach Alter mehr oder weniger bewusst - die Veränderungen in der Familie ganz genau. Mamas und Papas Aufmerksamkeit gehört nach der Geburt des Babys nicht mehr nur ihm, sondern auch und vor allem dem kleinen, schreienden Windelpaket.

Das ist für manche Kinder dramatisch. Damit das Große die Ankunft des Winzlings gut verarbeitet, sollten die Eltern es sorgfältig auf diesen Einschnitt vorbereiten.

Wichtig ist der richtige Zeitpunkt für das Verkünden der Neuigkeit. Familienpsychologe Wolfgang Bergmann aus Hannover rät dazu, diese spätestens dann zu verraten, wenn Mamas Bauch langsam rundlich wird und die Gefahr einer Fehlgeburt nicht mehr so groß ist. Meist sei dies nach dem dritten Monat der Fall.

Mama ist nicht krank

In jedem Fall sollten Eltern ihr Kind einweihen, bevor es selbst etwas bemerkt. "Das Kind muss wissen, dass Mama nicht krank ist", sagt Bergmann. Oft seien die Ängste der Kleinen viel größer als die Eltern glauben.

Bergmann warnt junge Eltern davor, sich im Streben nach Perfektion an "Spickzettel" mit Ratschlägen aus Zeitschriften oder dem Fernsehen zum Verkünden der frohen Botschaft zu halten. "Das kann verkrampft wirken", sagt er. Wenn das Kind dann Bescheid weiß, hat es ein paar Monate Zeit, sich gemeinsam mit Mama und Papa auf das neue Familienmitglied einzustellen.

In dieser Phase rät Bergmann den Eltern, ehrlich zu ihrem Erstgeborenen zu sein. Wer seinem Kind einen duften Spielkameraden verspreche und stattdessen mit einem kleinen, schreienden Bündel aus dem Krankenhaus nach Hause komme, gewinne damit bestimmt nicht das Vertrauen seines Sprösslings.

Gefühl von Liebe und Sicherheit

Wenn das Kind älter als sieben Jahre ist, komme der kleine Nachzügler ohnehin wie ein Einzelkind zur Welt, sagt Fuldaer Familientherapeut Matthias Hipler. Er empfiehlt schwangeren Müttern, ihr größeres Kind mit in ihren Zustand einzubeziehen. "Es darf Mamas Bauch mit Öl einreiben oder die Bewegungen des Babys im Bauch beobachten", schlägt er vor.

Bei allem, was die Eltern tun, sollten sie ihrem Erstgeborenen ein Gefühl von Liebe und Sicherheit vermitteln. Kommen die ersten Anflüge von Eifersucht, die Hipler zufolge nicht zu verhindern sind, sollte das Kind wissen: Mama und Papa haben mich total lieb. Mama bekommt das Baby nicht, weil sie mich nicht mehr will. Sie findet es so schön mit mir, dass sie gleich noch ein Kind will.

Auch wenn die Fragen ihres Kindes nach dem Geschwisterchen ungelegen kommen - etwa an der Kasse des vollen Supermarktes - sollten Eltern unbedingt ruhig bleiben, sagte Bergmann. "Wenn Mamas Augen strahlen, hat ein drei- bis vierjähriges Kind immer die Gewissheit, es passiert etwas Gutes", berichtet er. Überhaupt spielten Körpersprache, Haltung und vor allem die Augen in der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern eine viel größere Rolle als die Sprache.

"Grundbedürfnis nach Sicherheit"

Familientherapeutin Cornelia Hartel aus Buxtehude hat die Erfahrung gemacht, dass ein harmonisches Familienleben insgesamt die beste Garantie für einen gesunden Umgang des Erstgeborenen mit dem kleinen Geschwisterchen ist. "Man sollte nicht zu viel Aufhebens darum machen. Schließlich ist die Geburt eines Kindes etwas ganz Natürliches", betont sie.

Kinder aus zerrütteten Familien seien oft sehr irritiert, wenn sie von der bevorstehenden Geburt der kleinen Schwester oder des Brüderchens hören, sagt Hipler. Wenn Spannungen in der Luft liegen - etwa wegen finanzieller Sorgen der Eltern - spürten sie das ganz genau und reagierten beispielsweise mit Bettnässen. "Ein kleines Kind hat das Grundbedürfnis nach Sicherheit", sagt Hipler.

Dieses beruhigende Gefühl müsse jetzt vor allem der Papa vermitteln, weiß Bergmann. Er sei nach der Geburt des Babys die Ersatzmama für das größere Kind, wenn der Säugling viel Kraft und Aufmerksamkeit von der Mutter verlangt. Je mehr Stärke, Liebe und Stabilität der Vater seinem älteren Kind vermittle, desto besser könne es mit der neuen Situation umgehen.

Trotz aller Aufmerksamkeit und Stärke warnt Hartel davor, den kleinen Großen zu viel Verantwortung und zu viel Macht zu geben. Wie das Babyzimmer eingerichtet wird, hätten immer noch die Eltern zu entscheiden. Ebenso dürften Vierjährige nicht das Baby wickeln oder baden. Klare Grenzen seien hier gefragt. Es sei aber ausdrücklich erwünscht, dass das Kind sein neues Geschwisterchen streichelt und liebkost. Schließlich müsse es eine Beziehung zu ihm aufbauen.

(afp)
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