Beratungshotline für Analphabeten Die Nummer für richtiges "läsen und schraipen" wird zehn

Münster (rpo). Genaue Zahlen sind nicht bekannt, aber Indikatoren wie Schulabgangsquoten oder Bildungsstudien lassen vermuten, dass die Zahl der Analphabeten in Deutschland nicht unter vier Millionen liegen dürfte. Eine erschreckende Zahl. Doch für die Betroffenen gibt es Hilfe aus Münster: Dort ist die einzige deutsche Beratungshotline für Analphabeten ansässig - und feiert jetzt ihren zehnten Geburtstag.

Hart kratzt der Kuli über den weißen Briefumschlag. Erst ein senkrechter Strich, dann zwei kleine waagerechte - ein "F" soll das krakelig Gekritzelte sein, doch zu erkennen ist es nicht.

"Ich kann nicht mal Einladungen für einen Kindergeburtstag schreiben", sagt die blonde Schauspielerin resigniert in einem der vier neuen TV-Werbespots des Alfa-Telefons und wirft das Kuvert zu den unzähligen anderen zerknüllten Versuchen auf den Küchentisch. Die bundesweit einzige Hotline für Erwachsene mit Lese- und Schreibproblemen feiert in diesem Jahr ihren zehnten Geburtstag.

Oft ist es ein Freund

Immer wieder klingelt an diesem Morgen in den Räumen inmitten der Münsteraner Fußgängerzone das Alfa-Telefon. (02 51) 53 33 44 lautet die Nummer, die des Lesens und Schreibens unkundigen Bundesbürgern aus ihrer schwierigen Situation helfen will. Manchmal ist einer der nach Schätzungen des Bundesverbands Alphabetisierung vier Millionen deutschen Betroffenen selbst am Hörer.

Oft ist es ein Freund, ein Kollege oder auch der Chef, der nach Rat und Hilfe bei der Hotline fragt. Das Telefon biete dabei die Chance auf ein persönliches Gespräch und garantiere dennoch den Schutz der Anonymität, erklärt Geschäftsführer und Alfa-Telefon-Gründer Peter Hubertus.

Nicht erkannt zu werden, das ist für den Anrufenden - egal, ob selbst betroffen oder nicht - enorm wichtig, bestätigt auch die ehrenamtliche Helferin Sophie Sebastian. "Ich habe da Ihre Nummer in der Werbung gesehen", so eröffneten viele das Gespräch, berichtet die 23-Jährige.

Wo werden Kurse angeboten, in denen aus "läsen und schraipen" das richtige "lesen und schreiben" wird? Kann ich das überhaupt noch lernen? Kostet das etwas? So lauten dann die Fragen, die die Pädagogikstudentin ebenso wie die neun anderen Helfer Tag für Tag geduldig und einfühlsam beantworten.

20.000 Anrufe seit der Gründung

Zwischen 2.000 und 3.000 Anrufe verzeichnet die Beratungshotline jährlich. "20.000 Anrufe waren es seit der Gründung im September 1995", berichtet Peter Hubertus. Als Ein-Mann-Unternehmen hielt der ausgebildete Gymnasiallehrer damals das Alfa-Telefon am Laufen - von seiner Privatwohnung in Münster aus.

"Auf den ersten Plakaten steht auch noch meine private Adresse", schmunzelt der 50-Jährige. Bereits im September 1985 hatte er mit einer Telefonaktion auf Hilfsmöglichkeiten für Analphabeten aufmerksam machen wollen. Diese war zwar auf das Münsterland beschränkt, hatte aber so großen Erfolg, dass für den Alphabetisierungs-Pädagogen schnell klar war: Die Nummer muss zu einem ständigen, auf das gesamte Bundesgebiet ausgebreiteten Angebot werden.

Hilfe erhielt er vom Bundesbildungsministerium. Das förderte die erste große Medienoffensive. Seinen Durchbruch erfuhr das Alfa-Telefon allerdings erst, als eine Düsseldorfer Werbeagentur die preisgekrönte Medienkampagne "Schreib dich nicht ab - Lern lesen und schreiben!" für die Einrichtung in Münster konzipierte - professionell und kostenlos.

Telefonlawine losgetreten

Die TV-Spots traten eine regelrechte Telefonlawine los, die Hubertus nicht mehr allein bewältigen konnte. Über 5.000 Anrufe zählte der Bundesverdienstkreuz-Träger im Jahr 2002. Ein Jahr später erfolgten dann Ausbau und Umzug in die Münsteraner Fußgängerzone.

Ohne die finanzielle Hilfe von Spendern wäre das Alfa-Telefon allerdings schon längst wieder passe. "Beim Bund fühlt sich niemand zuständig", erläutert Hubertus das Fördermittel-Problem. Denn Bildung ist Ländersache. Doch auch die wollen und können nicht in ihre Fördertöpfe greifen, da das Alfa-Telefon eine bundesweite Einrichtung ist. Das mutet nicht nur widersprüchlich an. "Manchmal macht es auch wütend", sagt Hubertus. Vor allem, weil niemand Bedeutung, Nutzen und Beständigkeit der einheitlichen Nummer in Frage stellt.

Kostenlose und anonyme Beratung unter Telefon (02 51) 53 33 44. Näheres auch im Internet unter www.Alfa-telefon.de.

(afp)
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