Online-Vergabeverfahren Das Studienplatz-Debakel

Düsseldorf · Die Unis ächzen unter einem Studenten-Ansturm. Doch das seit Jahren versprochene flächendeckende Online-Vergabeverfahren für Studienplätze funktioniert auf absehbare Zeit nicht. Geschichte einer Blamage.

CHE Ranking 2012/13: Stärken und Schwächen der Unis in NRW
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Foto: tmn

Es sollte wie eine freudige Nachricht klingen, was die Dortmunder Stiftung für Hochschulzulassung kürzlich mitteilte: Die ersten Bachelor-Studienplätze mit örtlichem Numerus clausus (NC) seien jetzt über ein neues, internetgestütztes Verfahren verteilt worden. Damit sei "das von der Stiftung für Hochschulzulassung koordinierte Verfahren erfolgreich gestartet". Gemeint ist das Mammut-Projekt mit dem sperrigen Namen "Dialogorientiertes Service-Verfahren", kurz: DoSV.

Unschön ist dabei: Derzeit nehmen am DoSV nur 17 der bundesweit 271 staatlichen Hochschulen teil, aus NRW keine. Was da startete, war nur ein Pilotverfahren. Es betrifft ganze 22 von 3246 Bachelor-Studiengängen mit lokalem NC. Die Probleme der Vergabe und Besetzung von Studienplätzen werden durch den DoSV-Pilotbetrieb praktisch nicht kleiner.

Start für 2009 geplant

Das System wird auf absehbare Zeit bundesweit nicht funktionieren, obwohl der Start bereits für 2009 geplant war — das stand nicht in der Mitteilung der Stiftung. Die Lösung für eins der drängendsten deutschen Hochschul-Probleme ist damit weiter nicht in Sicht, obwohl sie seit Jahren versprochen wird.

Hauptschwierigkeit ist die knappe Zeit. In diesen Wochen bekommen Tausende Studienbewerber in Deutschland Post von den Hochschulen. Bei einer Absage müssen sie hoffen, an einer anderen Hochschule unterzukommen, an der sie sich ebenfalls beworben haben. Das Semester aber beginnt Mitte Oktober. In den vergangenen Jahren reichte die Zeit nie, um die Masse der Mehrfachbewerbungen rechtzeitig zu verteilen.

Ergebnis: 2011 blieben mehr als 13.000 NC-Studienplätze unbesetzt. In NRW waren drei Prozent der Fachhochschul- und acht Prozent der Uni-Studienplätze betroffen, 4851 insgesamt — und das in Zeiten, da angesichts zunehmender Studierfreudigkeit und des doppelten Abitur-Jahrgangs in NRW 2013 jeder Platz kostbar ist.

Dass so etwas wie das DoSV überhaupt nötig ist, liegt daran, dass im vergangenen Jahrzehnt immer mehr Hochschulen ihre Studiengänge aus dem Verfahren der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) herausnahmen. Die entstandene dezentrale Lösung funktionierte nicht, weil sich viele an mehreren Hochschulen bewarben, nach einer Zusage dem Rest aber nicht absagten. Das führte regelmäßig zu Chaos in den Studiensekretariaten und zum Infarkt des Systems. Also musste ein Ersatz für die ZVS her — 2008 gründeten die Länder die Stiftung für Hochschulzulassung, die das Vergabeverfahren koordinieren sollte. Wer bei einer Hochschule online zusagte, sollte für alle anderen automatisch gesperrt sein.

So weit, so einleuchtend. Nur: Das Ganze wurde blamabel schlecht umgesetzt. Die Software der Telekom-Tochter T-Systems sollte von der staatlich getragenen Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) mit der Zulassungs-Software ihrer Kunden, also der Unis, gekoppelt werden. Das aber funktioniert bis heute an den meisten Unis nicht, so dass der Zeitplan massiv ins Rutschen geriet.

"Wie bei allen großen Projektmanagement-Pleiten waren auch am Scheitern des DoSV viele beteiligt", sagt Christian Berthold von der Hochschul-Beratung CHE Consult. Er nennt die Rektorenkonferenz ("Hat die Komplexität der in den Hochschulen entstandenen Verfahren unterschätzt"), das HIS ("Hat es nicht geschafft, eine funktionierende Lösung anzubieten"), die Hochschulen ("Hatten nicht die Kraft, laut genug zu sagen: So geht es nicht") und die Länder ("Haben nicht überblickt, wie hoch die Anforderungen sind"). Fazit: "Die Situation jetzt ist so etwas wie der Fluch der Komplexität, die alle Beteiligten gefordert haben."

Stichtag in NRW ist 5. August

Wo große Lösungen scheitern, müssen Krücken her. NRW hat sich eine gebaut: Unis und Fachhochschulen einigten sich auf einen eigenen Stichtag und wollen bis 5. August die erste Runde Zu- oder Absagen verschicken. So soll ein Mindestabstand zum Semester gehalten werden, um mehr Zeit für die Sortierung zu haben und so die Zahl der Nachrücker zu verringern. Selbst die notorisch optimistische Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) sagt freilich: "Null Nachrücker werden wir nicht hinbekommen. Aber das System ist eine Verbesserung." Die Notlösung sei "ehrenwert", urteilt Berthold: "Aber es bleibt eine Hilfskonstruktion." Immerhin scheint das Vergabeverfahren an einer Reihe von Hochschulen dieses Jahr schneller zu laufen als zuletzt. Das meldet das Internet-Portal "Studis Online".

Zum Wintersemester 2013 trifft der doppelte Abi-Jahrgang in NRW die Hochschulen mit voller Wucht. Berthold winkt ab: "Es wird nicht möglich sein, das DoSV bis 2013 für eine große Zahl von Studiengängen in Gang zu bringen." Die Stiftung arbeitet nach eigenen Angaben "intensiv" daran, die Teilnehmerzahl "in den nächsten Semestern zu erhöhen". "Es sieht so aus, dass es eine deutliche Steigerung geben wird", sagt ein Sprecher. Zahlen könne man nicht nennen. Aber: "Wir demonstrieren mit dem Pilotbetrieb auch eher zögerlichen Hochschulen, dass die Sache funktioniert." Es wird Zeit für echte Erfolgsmeldungen aus Dortmund.

(RP/anch/csi)
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