Interview Ulrich Peltzer Anleitung zum Musenkuss

Köln · Der Autor Ulrich Peltzer hat die erste Gastprofessur des Studiums "Literarisches Schreiben" an der Kunsthochschule für Medien in Köln.

Der Schriftsteller ist erster Gastprofessor des Studiums "Literarisches Schreiben" an der Kunsthochschule für Medien in Köln.

Antike Dichter riefen vor dem Schreiben die Muse an, um ihre Kreativität voll ausschöpfen zu können. An der Kunsthochschule für Medien (KHM) in Köln kann man literarisches Schreiben lernen. Es ist die erste Hochschule in NRW, die ein solches Studium anbietet. Im deutschsprachigen Raum gibt es das Studium noch an den Universitäten Leipzig und Hildesheim sowie an den Kunsthochschulen in Wien und Bern.

"Literarisches Schreiben" ist in Köln ein integrierter Teilbereich des viersemestrigen Diplom-Studiengangs "Mediale Künste". Er entspricht einem Masterstudium; ab Wintersemester 2018/2019 wird zusätzlich ein neunsemestriges Grundstudium angeboten.

Schreiben lernen Studierende in allen Gattungen und Formaten: Lyrik und Belletristik, Theater, Reportage und Essay, auch Hörspiel und Feature oder Drehbuch aus Film und Fernsehen sind Teil des Studiums. Da "mediale Künste" interdisziplinär ist, können sie sich in ganz andere Richtungen entwickeln: in die Bereiche Foto- und Videokunst, Internet, Games, elektronische Musik, Installationen und Performances - um nur einige Fächer zu nennen, die die KHM anbietet.

Zusammen mit dem Kölner Autor und Friedenspreisträger Navid Kermani und anderen Lehrenden ist der Autor Ulrich Peltzer Gastprofessor des Studiengangs.

Sie sind auch am Auswahlverfahren beteiligt. Was sind die Aufnahmebedingungen für das Studium?

Peltzer Die Bewerber müssen eine Lesebiografie vorweisen und auch schon etwas publiziert haben. Und zusätzlich eine Aufnahmeprüfung bestehen.

Woran erkennen Sie, dass jemand fürs literarische Schreiben geeignet ist?

Peltzer Hier ist es ganz wichtig, zwischen Wissenschaft und Kunst zu unterscheiden. Eine gutgeschriebene Abschlussarbeit im Bachelor ist kein Garant für eine literarische Begabung. Ich achte darauf, ob jemand gerade Sätze bilden kann, ob da vielleicht Metaphern blühen, die unangemessen sind, oder schiefe Bilder entstehen. Ob es sich um ein bewusstes Arbeiten an Text und Sprache handelt.

Was lernt man dann im Studium?

Peltzer Die Studenten lernen vor allem einen literarischen Raum kennen und finden Referenzen in anderen literarischen Werken. Allerdings ist da wiederum ein Unterschied, ob man sich, wie im Studiengang Germanistik, wissenschaftlich mit dem Text auseinandersetzt oder ob man selbst schreiben will. Deswegen lernen sie auch bestimmte Techniken kennen, wie etwa in der Bildenden Kunst.

Was sind das für Techniken? Wie sehen die Seminare konkret aus?

Peltzer Ich leite zum Beispiel ein Seminar, das heißt: "Auf der Suche nach einer Sprache der Liebe". Wir haben unter anderem mit Marguerite Duras' "Der Liebhaber" gearbeitet, uns den Text ganz genau angeschaut, Sprache, Satzbau, Zeitenverwendung. Im Umkehrschluss gibt es dann praktische Übungen: Wie baue ich aus Hypotaxen, also aus langen, verschachtelten Sätzen, Parataxen, also kürzere Hauptsatzstrukturen? Wie schreibe ich einen Proust-Text um in eine einfache Sprache? Oder wir gehen zu einer Gerichtsverhandlung und überlegen, wie man darüber schreiben kann. Wie man daraus etwas Barockes macht oder das Geschehene in einem Stil der Neuen Sachlichkeit wiedergibt. Wir beschäftigen uns damit, wie Texte in welcher Form wirken.

Und wer das beherrscht, wird erfolgreicher Schriftsteller?

Peltzer Natürlich nicht. Es kommt schon auf Leidenschaft und Talent an und darauf, ob genug davon vorhanden ist. Aber oft ist es nicht einmal an die Qualität der Texte gebunden, ob ein Autor damit wirklich Erfolg hat. Es geht auch darum, das richtige Buch zur richtigen Zeit zu schreiben. Und schließlich ist das hier eine Kunsthochschule, die Studenten wissen, dass es nicht um Brot-Berufe geht, sondern um eine Erweiterung der Perspektive. Auch wenn sie letztlich merken, dass Literatur nicht ihr Medium ist und sie keinen Erfolg haben als Schriftsteller, lernen sie durch das Studium doch eine andere Form der Weltwahrnehmung kennen.

Gibt es im Studium auch eine Einführung in den Literaturbetrieb?

Peltzer Ja, die Studenten erfahren genau, wo sie Förderungen, Stipendien und Referenzen finden können. Ich versuche auch, den Faktor Zeit deutlich zu machen und ihnen beizubringen, wie Literaturkritik meiner Meinung nach funktioniert. Dass ihr Urteil zum Beispiel auch sehr fehlbar sein kann. Wie zum Beispiel im Fall von Stendhals "Rot und Schwarz", einem Klassiker der Weltliteratur. Zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung wurde der Roman von der Kritik zerrissen, teilweise gar nicht beachtet. Die Studenten organisieren sich auch untereinander, bilden Arbeitsgruppen, geben Anthologien raus, veranstalten Leseslots.

Was hat es mit dem Aufenthalt auf Burg Hülshoff bei Münster auf sich?

Peltzer Im Studienkonzept ist eine mehrmonatige Residenzphase auf dem Gelände der Burg vorgesehen. Die Studenten sollen das Umfeld der Burg für eigene Projekte nutzen. Ich persönlich kriege eher Zustände auf dem Land und brauche die Stadt als Arbeitsumfeld.

Hochschulen für Bildende Künste gibt es seit dem Mittelalter. Wieso wird literarisches Schreiben noch nicht so lang gelehrt?

Peltzer In der Bildenden Kunst braucht es auch eine Art traditionelle, handwerkliche Ausbildung. Das Studium des literarischen Schreibens ist vielmehr als Erweiterung zu verstehen. An amerikanischen Hochschulen gibt es das schon länger, ein Studium, das sich im Zwischenraum bewegt zwischen literarischem Lesen und Schreiben. Literarisches Schreiben ist auch schwieriger zu vermitteln als Bildende Kunst oder Filmkunst, denn man arbeitet allein.

Und wie steht es nun um den Kuss der Muse, den der Schriftsteller braucht zum Schreiben?

Peltzer Das ist natürlich eine sehr romantische Vorstellung. Umberto Eco hat mal gesagt, es braucht zehn Prozent Inspiration und eben 90 Prozent Transpiration, um ein Buch zu schreiben. Letztendlich ist literarisches Schreiben eine Frage von Praxis und ganz normaler Arbeit.

LEA HENSEN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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