Düsseldorf Das neue Album von Beck – ein Meisterwerk

Düsseldorf · Der amerikanische Musiker versammelt auf "Morning Phase" zärtliche Balladen mit West-Coast-Flair.

Man begegnet selten einer Platte, die einem aus der Seele spricht und zur Herzensangelegenheit wird, aber die neue von Beck ist so eine Veröffentlichung. "Morning Phase" kondensiert den Moment, da man an einem der letzten Urlaubstage mit den Kindern im Auto vom Strand heimfährt, vor sich hinträumt und an daheim denkt, an die Rückkehr und das, was auf einen zukommt. Man riecht noch nach Sonnencreme, muss aber gleich die Reisetasche aus dem Schrank nehmen und packen. Das ist eine sehr schöne und ziemlich traurige Platte.

Von Beck hatte man kein großes Album mehr erwartet. Ihm erging es wie vielen Hochbegabten im Pop: Seinen Platten lagen großartige Konzepte zugrunde, man war bereit, sie zu umarmen. Aber gern hören mochte man dann jeweils nur eine Handvoll Songs. Nach seiner Hit-Single "Loser" aus dem Jahr 1993 experimentierte Beck mit HipHop und Gospel, mit Rock und Folk. Die als Album schlüssigste Platte war "Sea Change" von 2002, aber selbst da fürchtete sich Beck vor der Schönheit; er sang mit Fantasie-Akzent, was das Durchhören zur Geduldsprobe macht. Zuletzt veröffentlichte er ein Album ausschließlich auf Papier: "Song Reader" war ein Konvolut aus 20 Notenblättern. Es mache keinen Sinn mehr, Platten aufzunehmen, verlautbarte Beck.

"Morning Phase" kommt nun sechs Jahre nach dem letzten regulären Album von Beck, "Modern Guilt", und es ist ein unverhofftes Meisterwerk. Im Zentrum steht das Lied "Wave", das Beck bereits vor fünf Jahren schrieb und das die Stimmung vorgibt. Andächtig, zärtlich. Getragen mitunter, behutsam und liebenswürdig. Das Beste an diesem Lied, überhaupt an der Platte sind die samtweichen Streicher. Becks Vater David Campbell schrieb die Partituren, und man merkt, dass er in den 70er Jahren für Hollywood komponierte, mit Jackson Browne arbeitete und Carole King. Das ist Folk mit West-Coast-Flair, auf die Essenz reduziert, pointiert und sorgfältig produziert. Kein Ton sitzt an der falschen Stelle, nichts ist überflüssig. Als Vergleiche seien die Beach Boys genannt, Gram Parsons und das Elektronik-Duo Air.

Beck flüstert und wispert, nie hörte man seine Stimme lieber, nie klang sie reifer. Es geht ums Altern der Eltern, um Scheidungen, das Kinderhaben und das Ende von Freundschaften. Textzeilen branden ans Ohr: "Get carried away", "Time will wait for you" und "Tired of being alone". Die Zeit steht still für die Dauer von 74 Minuten. Das ist eine Platte der Besinnung. Beck hält Rückschau, er sorgt sich um die Zukunft, und über ihm steht die Sonne Kaliforniens. Der Bass wird nur gezupft, dann und wann tupft Beck Piano-Akkorde in die Arrangements. Eine gezähmte Mundharmonika darf mitmachen, die Gitarren schmiegen sich an die Vocals.

Der "New Yorker" urteilte, die Platte sei ein Triumph. Das trifft es. Beck hat für dieses Jahr bereits ein weiteres Album angekündigt. Und obwohl es schöner gar nicht werden kann, ist die Vorfreude enorm.

(RP)
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