Barockmaler Antwerpen atmet Rubens

Antwerpen · Wer dem flämischen Barockmaler nahe sein will, muss nach Antwerpen reisen oder demnächst nach Wien oder Frankfurt - um zu lernen, woher Rubens seine Motive nahm.

Wenn Sofie Korres wieder einmal Besucher durch das Rubenshaus führt, hebt sie fast ab vor Begeisterung. Da steht sie dann im einstigen Atelier des Malers vor dem riesigen Hochformat "Die Verkündigung" und spricht aus, was sie sieht: "Alles wirbelt, leuchtet in Farben, ist dramatisch, flatternd, alles ist ein bisschen wrrrrr." Besser kann man die Szene kaum beschreiben, in der der Erzengel Gabriel in flatterndem Gewand aus dem Himmel stürzt, um der sich scheu wendenden, blau gekleideten Jungfrau Maria kundzutun, dass sie dereinst Christus gebären wird.

Auf dem Weg durch das Atelier und das angeschlossene Wohnhaus, durch Schlafzimmer, Küche und Anrichteraum entfahren der Museumsführerin Ausrufe der Begeisterung: "Wie schön ist das", stellt sie fest, wenn sie vor einem anderen Bild erklärt, welche erotischen Bedeutungen in Rubens' Kunst Muscheln, Früchte und Fisch tragen. Und mit Verweis auf die Rubens-Altäre in den Kirchen der Nachbarschaft bekennt die quirlige Korres als Antwerpenerin: "Wir sind mit diesen Bildern aufgewachsen. Antwerpen atmet Rubens."

Die bedeutendsten Sammlungen von Werken des 1577 in Siegen geborenen, 1640 in Antwerpen gestorbenen Barockmalers und Diplomaten flämischer Herkunft befinden sich in seiner Wahlheimat, außerdem in der Alten Pinakothek in München und im Kunsthistorischen Museum Wien. Dort beginnt am 17. Oktober eine große Rubens-Ausstellung, die am 8. Februar 2018 ins Frankfurter Städelmuseum übernommen wird und erstmals etwas veranschaulicht, das bislang vor allem ein Forschungs- und Buchthema war: Woher nahm Rubens seine Motive, und wie hat er sie sich anverwandelt? Für seine Christus-Figuren wie diejenige auf einem Triptychon der Antwerpener Liebfrauenkirche hat er gern auf die vorchristliche antike Laokoon-Gruppe zurückgegriffen. Laokoon nimmt - den Kopf seitlich zurückgeneigt und diagonal durch das Bild ragend - beinahe die gleiche Haltung in seinem Todeskampf ein wie Christus am Kreuz. Der muskulöse Oberkörper der römischen Skulptur "Der von Cupido gezähmte Kentaur" diente Rubens als Vorbild für den Christus in "Ecce Homo". Bei Tizians "Venus und Adonis" schuf er dagegen keinen neuen, konträren Zusammenhang, spiegelte in seiner Version allerdings die Figuren.

Die heikelste Geschichte steckt in Rubens' Porträt "Pelzchen", einem der berühmtesten Pin-ups der Kunstgeschichte. Die halbnacke Dame mit Pelz ist die zweite Ehefrau des Künstlers, die mit 16 Jahren vom 55-Jährigen erwählte Helena Fourment. Vorbild des Gemäldes ist Tizians "Mädchen im Pelz", das Rubens bei einem England-Besuch kopiert hatte und das pikanterweise wohl eine Prostituierte darstellt.

Weltliche, mythologische und biblische Motive gingen Rubens gleichermaßen von der Hand. Über seinen Glauben ist nichts bekannt. Vermutlich glaubte er vor allem an die Kraft der Kunst. Mit der richtigen Drehung Mariens im hochformatigen Bild, so wusste er, lenkt man die Blicke der Betrachter zu Gott. Und mit erotischen Darstellungen kam er den Wünschen der Sammler entgegen. Sich selbst setzte Rubens nur viermal ins Bild.

Jochen Sander, Sammlungsleiter für deutsche, holländische und flämische Malerei vor 1800 am Frankfurter Städel, verfügt zwar nur über eine Ölskizze als einziges Werk von Rubens in der ansonsten üppigen Kollektion, trug zu den beiden bevorstehenden Ausstellungen aber das Wichtigste bei: die Idee. Er wollte, so sagte er uns, einmal nicht auf die Folgen von Rubens blicken, sondern auf die Ursprünge und darauf, was Rubens aus den Vorlagen gemacht hat. Und er weist darauf hin, dass in Frankfurt wie in Wien auch etliche jener Bilder gezeigt werden, die der Kurfürst und Mäzen Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg nach seiner Hochzeit 1691 mit der Prinzessin Anna Maria Luisa de' Medici in Düsseldorf angelegt hatte. Die Sammlung wanderte 1805 großenteils nach München und bildete dort den Grundstock der Alten Pinakothek. Immerhin zwei schwer transportierbare Gemälde von Rubens sind am Rhein geblieben und zählen heute zu den Prunkstücken des Museums Kunstpalast.

Wenn man bedenkt, dass Antwerpen 2018 als Barockjahr ausruft und die Epoche mit "Barockkünstlern unserer Tage wie Jan Fabre, Luc Tuymans und Sidi Larbi Cherkaoui" in Verbindung setzen will, könnte man fast von einem Barock-Boom sprechen. Doch beim Blick auf das weitere Kulturprogramm der Stadt für die nächsten drei Jahre wird man eher an eine Wiederentdeckung der Alten Meister glauben. 2019 wird das Königliche Museum der Schönen Künste nach langer Renovierung mit einer Brueghel-Schau wieder eröffnet. Und 2020 wird in Gent Jan und Hubert van Eycks berühmter Altar nach der letzten von zahlreichen Restaurierungen wieder zugänglich sein.

Bei allen Künstlern von damals hat die Forschung noch viel zu tun, auch auf entlegenen Gebieten. Im Fall von Rubens geht es zum Beispiel darum, welches der 50 Skelette unter der St.-Jakobskirche dasjenige des Malers ist - und ob es sich dort überhaupt noch befindet. Auf welchem Vergleichsmaterial die angepeilte DNA-Untersuchung beruhen soll, ist das Geheimnis der Forscher.

(B.M.)
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