Bad Neuenahr Abschied von Volkspräses Nikolaus Schneider

Bad Neuenahr · Fromm, sozial engagiert und pragmatisch leitete Schneider die rheinische Kirche. Er hinterlässt Baustellen – und große Fußstapfen.

Vielleicht muss, wer Nikolaus Schneider verstehen will, zurückgehen in die 50er Jahre, in die Volksschule nach Duisburg-Huckingen. Vater Schneider, Stahlarbeiter, hat seinen Sohn nicht taufen lassen, denn er ist Kommunist. Eigentlich soll Schüler Schneider deshalb, während die anderen Religionsstunde haben, schön still ein Buch lesen. Weil er aber fasziniert ist von den biblischen Geschichten, arbeitet der Junge mit. Ein paar Jahre später lässt er sich taufen.

Die Episode passt zu Nikolaus, genannt Nickel, Schneider – egal, ob als Arbeiterpfarrer in Rheinhausen, als Diakoniepfarrer in Moers, als Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland oder schließlich als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Denn er spricht von seinem Glauben, wie es sein Volksschullehrer getan haben muss: in Geschichten und Bildern, weil das Christentum so am besten unter die Leute kommt. Sein Amt als Präses gibt Schneider jetzt nach zehn Jahren ab, denn im September ist er 65 geworden. Heute wählt die Synode einen Nachfolger.

Zu Schneiders Lieblingsworten gehört die sechste These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934. Auftrag der Kirche sei, heißt es dort, "die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk". Wobei Schneiders Betonung stets auch auf "alles" liegt – was heißen soll: Verständlich sein! Nah dran bleiben!

Schneider ist beileibe kein theologisches Leichtgewicht, wie sie auch im aktuellen deutschen Protestantismus vorkommen. Dennoch steht für ihn im Zweifel der Dienst am Nächsten (im Kirchenjargon: die Diakonie) über Fragen der Theologie. Er mache sich "nach der reinen Lehre auch die Hände schmutzig", wenn ein Todkranker, der sich zum Suizid entschieden habe, ihn um Begleitung bei seinem Vorhaben bitte, sagte er etwa unlängst.

Im Zweifelsfall Praxis, auch Pragmatismus, statt Theorie, "nah bei de Leut" – vieles in Schneiders Wirken steht in dieser Linie: das energische Eintreten für soziale Gerechtigkeit, das Ringen um ökumenischen Ausgleich, der Mut zur Feststellung, manchmal keine einfache Lösung parat zu haben. Er wisse nicht, ob der Krieg in Afghanistan gerechtfertigt sei, hat Schneider einmal gesagt.

Er bringt das alles mit einem warmen, ruhrdeutsch-handfesten, unmittelbar wirkenden Charisma ohne jeden Hang zur Selbstgefälligkeit über. Der Glaubensgeschichtenerzähler Schneider greift dabei lieber auf die Vergangenheit zurück, als Visionen zu entwerfen – der Kampf um die Krupp-Arbeitsplätze in Rheinhausen 1987/88 ist im Politischen so fester Bestandteil seiner Identität, wie es im Privaten der Krebstod seiner jüngsten Tochter Meike 2005 ist. Seine Ehefrau Anne, eine pensionierte Religionslehrerin, mit der er seit bald 43 Jahren verheiratet ist, ist ihm dabei Stütze, theologische Sparringspartnerin und – im öffentlichen Auftreten – Herzlichkeitsverstärker.

In Schneiders Selbstverständnis des Dieners am Menschen wurzelt freilich auch die Neigung, Konflikte im direkten Umgang mit den Nächsten, wo es geht, zu vermeiden. "Der Nickel versucht, alles mit christlicher Liebe zu lösen", sagt einer, der ihn als Kirchenmanager gut kennt. "Aber manchmal muss man ihm sagen, dass nicht alles mit Liebe lösbar ist."

Dass es solche Fälle zuletzt öfter gab und dass das Durchgreifen mitunter zu spät kam, das ist der Schatten, der über Schneiders Abschied als Präses liegt. Da war etwa sein Freund und Kollege, Fernsehpfarrer Jürgen Fliege, mit dessen lästerlichen Seltsamkeiten die Kirche schier unendliche Langmut zeigte, bevor sie zu Disziplinarmaßnahmen schritt. Da ist die Kostenexplosion bei der Umstellung des kirchlichen Finanzwesens, deren Probleme man lange vor sich herschob.

Und da ist das Finanzdebakel bei der eigenen Dienstleistungsfirma BBZ, das die Kirche Millionen, vor allem aber Glaubwürdigkeit gekostet hat und bei dem offenbar die Kontrollmechanismen in Reihe versagten. Die Debatte der Synode dazu lief Schneider Anfang der Woche komplett aus dem Ruder, weil er versuchte, Kollegen die Öffentlichmachung peinlicher Details zu ersparen – und so (ungewollt) den fatalen Eindruck erweckte, die Kirchenleitung wolle vertuschen und auf Zeit spielen.

Schneider haben diese Misshelligkeiten getroffen. "Man kann wirklich nicht sagen, dass das Haus nun geordnet und bestellt sei", hat er in seinem letzten Rechenschaftsbericht vor der Synode diese Woche gesagt. Der Übergang sei eher "wie ein Wechseln der Pferde mitten im Fluss", politisch habe er manchmal das Gefühl, "als würde man gegen eine Wand reden"; es fielen Worte wie "zermürbend", "Überforderung" und "Verzweiflung".

Auch enge Mitarbeiter hat diese Düsternis irritiert, und sie ist auch insgesamt nicht gerechtfertigt. Denn groß und tief sind nicht nur die Baugruben, die Schneider seiner Landeskirche hinterlässt, sondern auch die Fußstapfen. Es wird viele und gute Glaubensgeschichten brauchen, um sie zu füllen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort