Tübingen Abschied eines großen Kirchenrebellen

Tübingen · Heute erscheint der dritte biografische Band von Hans Küng mit dem Titel "Erlebte Menschlichkeit".

Am Schluss wird Hans Küng sehr persönlich. Er schreibt, wie seine Lebensenergie schwindet und wie er den Tod kommen sieht. Dass er – einer der einflussreichsten katholischen Theologen und Kirchenkritiker – bald nicht mehr in der Lage sein wird, zu schreiben und zu lesen. Der dritte Band seiner Memoiren, der heute erscheint, soll sein letztes Buch werden, der 85-Jährige nimmt wohl endgültig Abschied von der Öffentlichkeit. Und er deutet an, dass die Inszenierung seines Todes noch ein letzter Protest gegen die Amtskirche sein könnte.

Bislang kannte man den Tübinger Theologen als starken, unbeugsamen Rebellen. Unermüdlich hat er gegen die römische Kurie und gegen die Päpste rebelliert, die die Kirche seiner Meinung nach in den vergangenen Jahrzehnten zu einer "geistlichen Diktatur" umgebaut haben. So ist er zum theologischen Bestsellerautor und zu einem der wichtigsten Vordenker für reformorientierte Katholiken geworden. Wie es dazu kam, steht im Mittelpunkt in diesem dritten und letzten Band seiner Autobiografie, die Küng "Erlebte Menschlichkeit" genannt hat. Sie beginnt im Jahr 1980, also kurz nachdem Johannes Paul II. ihm wegen seiner Zweifel an der Unfehlbarkeit des Papstes die Lehrerlaubnis entzogen hatte. Auf 600 Seiten beschreibt Küng seinen Kampf, sich nicht mundtot machen zu lassen. Er erzählt schließlich, wie er schließlich zu seinem zweiten großen Thema, der Versöhnung der Weltreligionen, kam und dafür rund 350 Orte bereiste. Küng gewährt auch immer wieder Einblicke in die Hintergründe seiner Auseinandersetzungen mit den Päpsten. Anschaulich beschreibt er sein Treffen mit Ratzinger in Castel Gandolfo.

Doch dann kommen die bemerkenswerten letzten 100 Seiten. "Am Abend des Lebens" hat Küng sie überschrieben. Dort schreibt der 85-Jährige, der nie viel Privates über sich preisgegeben hat, erstmals offen über seinen schlechter werdenden Gesundheitszustand. Er, der bis zuletzt alle seine Bücher handschriftlich verfasst hat, könne nur noch mit Mühe lesbare Buchstaben aufs Papier bringen. Seit gut einem Jahr wisse er, dass er an Parkinson leide und zudem durch eine Makula-Degeneration schon bald seine Sehkraft verlieren werde. Ein Schock sei das gewesen, gibt er zu. Küng erinnert an seinen kürzlich verstorbenen Freund Walter Jens, der durch eine Demenz die letzten Jahre in geistiger Umnachtung lebte. "Ich will nicht als Schatten meiner selbst weiterexistieren", schreibt er und dass er darüber nachdenke, notfalls mit Hilfe einer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben zu scheiden. "Der Mensch hat ein Recht zu sterben, wenn er keine Hoffnung mehr sieht auf ein nach seinem ureigenen Verständnis humanes Weiterleben." Es wäre ein letzter Affront gegen die Kirche, die diese Form der Sterbehilfe strikt ablehnt. Er empfinde keine Furcht, schreibt Küng, sondern glaube fest an ein Leben nach dem Tod.

(dpa)
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