Bilaspur Wie Bildung ein Dorf in Indien verändern soll

Bilaspur · Ein Missionar schenkt Tagelöhnern Land – doch die müssen den Umgang mit Besitz erst lernen.

Ein Missionar schenkt Tagelöhnern Land — doch die müssen den Umgang mit Besitz erst lernen.

Es kam dieser Tag, da fuhr Justin Elambassery hinaus zu seinem Grundstück. Er wollte sich umschauen, genießen, dass er es bis hierher geschafft hatte mit dem Geld, das er im Kautschuk-Handel verdient hatte. Doch dann stand er auf dem Gelände, Baupläne für sein Haus in der Hand — und wusste plötzlich, dass er sich diesen Traum nicht erfüllen würde. "Ich habe tief in mir gespürt, dass das Haus mich nicht glücklich machen würde", sagt Pater Justin. "Man muss irgendwann innehalten und sich entscheiden, wofür man lebt." Der Pater hat sich entschieden. Er hat all seinen Besitz hinter sich gelassen und ist in den Bettelorden der Franziskaner eingetreten, in den Kapuzinerorden. "Ich baue jetzt an etwas Größerem", sagt er. "Lass uns später ins Dorf gehen. Dort wirst du mich verstehen."

Und dann sitzen wir bei Jakub im Hof auf einem klapprigen Bettgestell. Unter dem Strohvordach der Lehmhütte glänzt gespültes Blechgeschirr in der Sonne. Jakub hat die Mütze tief in sein mageres Gesicht gezogen und erzählt von dem Tag, als seine Familie gerettet wurde — "aus der Knechtschaft geführt, wie die Juden aus Ägypten", sagt er.

In den 50er Jahren war das. Damals arbeitete der Vater noch als Tagelöhner, doch er hatte gehört, dass in Bilaspur, in Uttar Pradesh, ein Missionar aus Italien Tagelöhnern Land verschaffe. Der Kapuziner-Bruder Pius hatte 160 Hektar Acker gekauft und verschenkte sie an Christen. "Wir haben zwei Hektar bekommen", sagt Jakub, "von da an waren wir keine Knechte mehr."

Für die Leute im Dorf Joseph Nagar ist Bruder Pius ein Heiliger. Sie beten an seinem Grab, haben in ihrer Kirche eine Franziskusfigur aufgestellt und mit Blumengirlanden geschmückt. Der Missionar aus Italien hat die Gemeinde geformt, hat mit den Menschen gearbeitet, ihr Leben geteilt und dafür mit dem Leben bezahlt. Er starb 1982 an den Folgen eines Schlangenbisses.

Bruder Pius war ein Pionier. Das Leben in seinem Dorf aber hat sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum entwickelt. Viele Familien leben weiter in einfachen Hütten mit Kochstellen, die aus Lehm geformt sind, halten ein Rind für den Eigenbedarf, zu mehr reicht es nicht. Die Familien sind gewachsen, den Ertrag ihrer Felder haben sie nicht gesteigert, dafür fehlte es ihnen an Bildung — und Energie. Als neue Landbesitzer hatten sie das Gefühl, nicht mehr arbeiten zu müssen. Müßiggang, Alkoholismus und der fehlende Blick für die eigenen Möglichkeiten hat viele Mitglieder der Gemeinschaft gelähmt.

Inzwischen lebt die dritte Generation in der Gemeinde von Bruder Pius. Mädchen wie Sweety Margret (18), die gerne Krankenschwester werden würde. Für die Ausbildung reicht aber das Geld der Familie nicht, also hilft sie nun im Haus, wartet, dass die Familie einen Mann für sie findet. Oder Moses (20), dem die Schule zu anstrengend wurde. Er brach ab und brettert nun lieber auf seinem Motorrad über die staubige Dorfstraße — wie die meisten seiner Freunde.

Die Nachfahren von Bruder Pius haben das Problem erkannt — und investieren in Bildung. Gleich nach seiner Ankunft hat Pater Justin an der Dorfschule einen englischsprachigen Zweig eingerichtet. "Das weitet den Horizont der Kinder", sagt er. Die Schule ist alt, die Klassenräume eng, aber die 200 Kinder kommen gern, der Unterricht ist eine Abwechslung vom Alltag.

Auch Raguthomas (24) mochte die Schule und hat es bis zum technischen Zeichner gebracht. Er spricht Englisch, möchte sein Glück vielleicht im Ausland versuchen. "Mein Bruder ist Lehrer, meine Schwester Buchhalterin in Delhi", erzählt Raguthomas, "sie waren meine Vorbilder." Anders als andere Familien im Dorf haben die Eltern von Raguthomas nur vier Kinder bekommen. Vor ihrem Haus haben sie einen Blumengarten angelegt, einen Weg gepflastert. "Wir wollten nur, dass die Kinder lernen", sagt Ragrani Mesin (45), Raguthomas' Mutter. Dass ihre Kinder in die Stadt gegangen sind, findet sie richtig. "Sie sollen es besser haben", sagt sie. Ihr Sohn dankt es ihr — Raguthomas kommt regelmäßig zurück in sein Dorf. "Ich mag den Zusammenhalt hier", sagt er.

Den kann man spüren, wenn sich das Dorf abends zum Beten versammelt. Dann sitzen die Menschen in einem Innenhof im Kreis — Eltern, Kinder, Alte. An der Seite steht ein Marienbild auf einem niedrigen Tisch, davor Blumen, zwei Kerzen. Und während sich die Nacht über das Dorf senkt, beten die Menschen den Rosenkranz. Dann gibt es fettige Süßigkeiten und Tee, und die Menschen besprechen ihre Probleme mit dem Pfarrer. "So muss Kirche sein, niemals von oben herab", sagt Pater Justin, "das hat Bruder Pius schon vorgelebt." Das Verständnis dafür, wie Missionare Gutes tun, hat sich seither radikal verändert. Pater Justin sagt es so: "Wir müssen hungrigen Menschen Angeln geben, nicht den Fisch."

(RP)
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