Millionen auch bei der Einschaltquote „Wer wird Millionär?“: Gesprächsstoff für alle

Hamburg (dpa). Das Privileg, die Nation vorm Bildschirm zu versammeln, hatte bis vor kurzem nur Thomas Gottschalk mit seiner ZDF-Show „Wetten, dass...?“. Der letzte TV-Klassiker sei ein Auslaufmodell, vermuteten die Experten. Die Zeit, in der sich für eine Sendung noch mehr als zehn Millionen Menschen interessieren, sei angesichts von 30 und mehr Kanälen vorbei.

Doch mit Günther Jauchs plötzlicher RTL-Erfolgsshow „Wer wird Millionär?“ werden die Karten neu gemischt - eine simple Quizsendung mit der Hoffnung auf den Millionengewinn für einen Kandidaten mobilisiert bis zu zwölf Millionen Neugierige, liefert Gesprächsstoff und sorgt sogar für Diskussionen darüber, welchen Stellenwert heute Bildung noch hat.

„Jauch hat es geschafft, dass die Frage nach der Bildung neu diskutiert wird und liefert dafür einen eigenen Ansatz“, sagt Jo Reichertz, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Essen. „Als vor Jahren Quizsendungen schon einmal groß in Mode waren, wurde Erfolg mit Leistung gleichgesetzt. Spezialisten wurden - wie beim 'Großen Preis' mit Wim Thoelke - für ihr Wissen belohnt. Heute bringt das Fernsehen zum Ausdruck, dass es reicht, ein einigermaßen ordentliches Allgemeinwissen zu haben, um von sich selbst sagen zu können: Ich gehöre zur Bildungsgesellschaft.“ Die Maßstäbe setze Jauch.

Nicht nur Medienwissenschaftler machen sich dank Jauch Gedanken um unsere Bildung, auch die Boulevardpresse stellt unser Allgemeinwissen auf den Prüfstand. Vor wenigen Tagen fragte die „Bild“-Zeitung: „Sind unsere Lehrer wirklich so doof?“. Ein Koblenzer Grundschullehrer hatte in „Wer wird Millionär? “ die polnische Stadt Stettin fälschlicherweise in die Neuen Länder verlegt. Doch Fehler, so nimmt Jauch seine Kandidaten in Schutz, machten alle. „Ich habe einmal als alter Wessi behauptet, Sylt sei Deutschlands größte Insel“, sagt der gebürtige Münsteraner. „Dabei ist es Rügen. Nach der Aufzeichnung der Sendung habe ich gesagt: Die Stelle schneiden wir nicht. Der Fehler bleibt drin.“

Jauch trägt entscheidenden Anteil am gesellschaftlichen Siegeszug der Quiz-Show, die Generationen verbindet und soziale Brücken schlägt. Der TV-Star, der gar keiner sein will, überzeuge dadurch, „dass er sich nie in den Vordergrund spielt, Verantwortung trägt und glaubhaften Spaß an seiner Arbeit hat“, sagt TV-Kollege Hans Meiser, der selbst eine Quizshow („Quiz 21“) präsentiert. Mit publicitywirksamen Auftritten in der Öffentlichkeit hält sich der Publikumsliebling deutlich zurück. Fototermine macht Jauch nur selten. Doch als der 44-Jährige kürzlich in Hamburg gastierte, drängelten sich auf engem Raum rund 40 Bildjournalisten um Jauch, als wäre er Claudia Schiffer.

Jauch selbst übt sich in Bescheidenheit: „Ich wollte nicht mehr als eine Fernsehsendung, die zu mir passt“, sagt der Mann, der mit der Champions League und „Stern TV“ bei RTL noch andere Eisen im Feuer hat. „Ich dürfte mir aber nur auf die Schulter klopfen, wenn ich sie selber entwickelt hätte.“ Er sei kein reiner Fragensteller und lasse sich viel Zeit, um die Kandidaten zu mobilisieren. „Ich bin international der langsamste Moderator dieser Sendung“, sagt Jauch und das soll so bleiben. Auf eine Diskussion, ob die Sendung Folgen für unsere Gesellschaft habe, mag sich der in Potsdam lebende Moderator nicht so recht einlassen. „Aber das Argument, das Format werde sich tot laufen, teile ich nicht“, sagt er. „Es lebt von seiner Zeitlosigkeit, man darf an ihm nicht herumdoktern. Im Grunde ist es eine klassische öffentlich-rechtliche Sendung.“

Doch zumindest die ARD, die mit Kulenkampffs „EWG“ oder Robert Lembkes „Was bin ich?“ das deutsche Quiz erfand, hat bislang kein Gegenmittel entwickelt. SAT.1, RTL II und das ZDF haben inzwischen reagiert und eigene Angebote gebracht.

(RPO Archiv)
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