Blaue Pillen revolutionieren Hardcore-Business Überdosis für den kleinen Star: Viagra und die Pornoindustrie

San Fernando (rpo). Das Potenzmittelchen Viagra mag in erster Linie ein Segen für schwächelnde, unbescholtene Männer sein - aber auch die US-Pornoindustrie hat inzwischen die blauen Pastillen für sich entdeckt. Eine ganze Branche auf dem Dauertrip, mit Darstellern, die kaum noch klein zu kriegen sind. Kann das gesund sein?

Die Patienten der unscheinbaren Praxis im sonnigen Tal von San Fernando unweit von Hollywood haben alle den gleichen Beruf. Sie sind Pornodarsteller. Viele klopfen an die Tür mit der Aufschrift Adult Industry Medical Health Care, weil sie vor dem nächsten Dreh einen Aidstest nachweisen müssen. Manche haben Alkohol- oder Drogenprobleme. Immer mehr fragen nach den Folgen von zu viel Viagra.

Längst haben die blauen Pillen Amerikas Pornoindustrie revolutioniert. Den mehr als 30 neuen Videos, die Sexfilmstudios im Schatten der Traumfabrik pro Monat ausstoßen, sieht man das zwar nicht an. Doch die Bilanzen sprechen eine klare Sprache. "Seit hier manche so viel von dem Zeug schlucken, dass sie blaue Zungen haben müssten", sagt ein Branchenkenner, "werden selbst Fünf-Sterne-Pornos in kürzester Zeit fertig." Weniger Drehtage, geringere Kosten, höhere Profite - das Prinzip gilt im San Fernando Valley genauso wie im richtigen Filmgeschäft.

Bis vor drei Jahren der Arzneimittelkonzern Pfizer seine Erektionshilfe auf den Markt brachte, ließ sich wenig machen: Der kleine Hauptdarsteller des Mannes brauchte nun mal seine Ruhephasen. Heute wird der Dreh oft nur noch fürs Nachschminken, einen Gang zur Toilette oder eine Kaffeepause unterbrochen. "Früher haben wir ein bis zwei Sex-Szenen am Tag gedreht", erzählte der 34-jährige Porno- Star Cheyne Collins der "Los Angeles Times". "Heute sind es fünf."

Offiziell will die amerikanische Vereinigung der Hersteller von "Erwachsenen-Filmen" nichts vom grassierenden Viagra-Missbrauch wissen. "Wir fordern absolut niemanden dazu auf", heißt es dort. Doch das ist in der gewerkschaftsfreien Zone von "Pornywood" auch gar nicht nötig. 500 bis 700 Männer bewerben sich nach Schätzung von Jane Hamilton jeden Monat um weniger als 100 Rollen. "Das Bewerber- Telefon klingelt den ganzen Tag", sagt die Regisseurin der Firma VCA Pictures.

Pretty Boys flehen um einen Job

Insider wissen, dass es bei der Auswahl der männlichen Sexspieler um nichts so sehr geht, wie um das Stehvermögen. Darüber sind sich auch die "pretty boys" im Klaren, die mit Nacktfotos und Anrufen die Studios um einen Job anflehen. "Auch das ist ein Ergebnis des Leistungsdrucks in unserer Gesellschaft", sagt die Feministin und Sachbuchautorin Susan Faludi. "Menschen sehen sich als Produkt, das man zwecks Vermarktung mit Chemikalien verbessert."

Dabei ist mit Phallus-Rollen weit weniger zu verdienen, als viele weibliche Stars absahnen. Silikonbusen-Wunder mit "Künstlernamen" wie Busty Dusty haben es zu Reichtum gebracht, weil es bei der Video-Vermarktung vor allem auf ihre Reize ankommt. Die meisten Käufer sind Männer. Männer als Darsteller gelten im Pornogeschäft hingegen meist als nicht so wichtig, sieht man von deren "kleinen Freund" im Großformat ab. Besonders Neueinsteiger versuchen bei oft nur 500 Dollar (1150 Mark/587 Euro) pro Film auf wenigstens fünf bis sechs Engagements im Monat zu kommen.

Um das durchzustehen schlucken eigentlich völlig gesunde Porno- Männer oft 100 Milligramm Viagra am Tag, wie Betroffene berichten - das doppelte der Dosis, die bei tatsächlichen Erektionsproblemen empfohlen wird. Bislang vergeblich warnen Ärzte und auch Pfizer vor den unabsehbaren Folgen dieses vielleicht weltweit größten "Selbstversuchs" mit aus medizinischer Sicht unnötigen und zudem überdosierten Viagra-Einnahmen.

(RPO Archiv)
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