Neuer „Tatort“ aus Berlin Zwei Brüder und die Schuld

Berlin · Der Berliner „Tatort“ zum Tag der deutschen Einheit stellt eine Schlüsselfrage vieler deutscher Familien: War Opa ein Nazi?

 Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke, l) finden Klaus Keller (Rolf Becker) an seinem 90. Geburtstag tot auf.

Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke, l) finden Klaus Keller (Rolf Becker) an seinem 90. Geburtstag tot auf.

Foto: picture alliance/dpa/Stefan Erhard

„Ich war zu feige, für Deutschland zu kämpfen“ – das ist auf dem Schild zu lesen, das an einer Schnur um den Hals von Klaus Keller hängt. Der erfolgreiche Bauunternehmer wird erschossen auf seiner Dachterrasse gefunden, ausgerechnet am Abend der Feier zu seinem 90. Geburtstag. Kellers Familienunternehmen steckte im Bau eines Holocaust-Dokumentationszentrums in Israel, Versöhnung war sein großes Lebensthema. Nelli Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke), die die Ermittlung übernehmen, denken unweigerlich an den Zweiten Weltkrieg, an Neonazis und Judenfeindlichkeit. Was sie skeptisch macht: Ein Foto von Tatopfer Klaus und seinem Bruder Gert (Friedhelm Ptok) ist aus der Wohnung des Toten verschwunden. Hat der Mord etwas mit den Brüdern zu tun?

Für Nelli Rubin ist dieser Fall ein besonderer – sie ist jüdisch, der Glaube ihrer Familie war schon häufig Thema im „Tatort“. Karow, wie immer leicht unsensibel und schwer arrogant, kommentiert ihre offensichtliche Angefasstheit so: „Ah, persönlich betroffen?“ Die beiden ziehen sich also die Gummistiefel an (Zitat Karow), um durch die braune Brühe zu waten.

Die Kommissare, sie Ossi, er Wessi, wühlen sich in die Geschichte der zwei Keller-Brüder, die schon seit Jahrzehnten keinen Kontakt  mehr haben. Der eine erfolgreicher Unternehmer und Wendegewinner, der andere Stasimajor, SED-Funktionär und Wendeverlierer; der eine wird erschossen auf der Dachterrasse gefunden, der andere stürzt sich kurz darauf, scheinbar einfach so, vom Krankenhaus-Dach. Verbunden sind sie durch eine schreckliche Kriegsgeschichte.

„Ein paar Worte nach Mitternacht“ erzählt die Geschichte dieser Berliner Familie, erzählt von Schuld, von dem Wunsch nach Versöhnung und von Verdrängung, von großem Hass, größter Liebe und vom Leben in West- und Ostdeutschland. Er lebt weniger von der Spannung als von der Dramatik der Familiengeschichte. Dieser „Tatort“ fließt nicht einfach so dahin, wer ihn schaut, sollte wach sein, um folgen zu können. Regisseurin Lena Knauss, deren „Tatort“-Debüt diese Episode ist, reizte die Historie als Familiengeschichte: „Im Vordergrund steht für mich das menschliche Drama, über drei Generationen hinweg. Mich hat interessiert, welche Verstrickungen da im Verborgenen gehalten werden.“

Ein weiteres Pro-wach-bleiben-Argument sind Meret Becker und Mark Waschke – es wäre schade, etwas von den beiden zu verpassen. Denn das Vergnügen ist endlich: Nur noch bis 2022 sind die beiden als Team zu sehen, dann steigt Becker aus. Ihre Nachfolgerin wird Corinna Harfouch.

Bis dahin ist noch etwas Zeit für Karow und Rubin. Sie sind keine Freunde, aber können mittlerweile ganz gut miteinander. Im neuen Fall erfährt man: Das erste, was sich Karow nach dem Mauerfall im Westen kaufen wollte, war eine Stretchhose.

„Tatort: Ein paar Worte nach Mitternacht“, Das Erste, 20.15 Uhr

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