Alle müssen sich an die Regeln halten Singapur: Stadt der Strafen

Singapur (RP). Singapur ist eine der reichsten Metropolen in Asien. Wer sich nicht an die Regeln hält, wird bestraft. So darf auch die wegen Rauschgift-Besitzes angeklagte Julia Bohl von den Einheimischen wenig Verständnis erwarten - trotzdem gibt es Hoffnung.

"Was regt ihr euch in Deutschland so auf? Wenn die Frau mit Drogen gehandelt hat, wird sie bestraft. Schließlich wird sie die Gesetze in Singapur gekannt haben." Suzie Tay ist Singapurerin, arbeitet in einem Reisebüro, hat oft mit deutschen Kunden zu tun - und wundert sich über die Erschütterung, mit der die Deutschen auf die Verhaftung von Julia Bohl reagieren. Natürlich bedauert Suzie Tay, dass der 22-Jährigen die Todesstrafe droht: "Für die junge Frau ist das natürlich schrecklich." Andererseits habe man bei ihr 687 Gramm Marihuana und etliche Designerdrogen gefunden. "Sie hätte sich nicht auf das Risiko einlassen dürfen", sagt Suzie Tay. Schon bei der Landung in Singapur werde vor Drogenbesitz und Todesstrafe gewarnt, auf jedem Einreiseformular und in dicken roten Lettern. Suzie: "Die ganze Welt macht doch Witze über unseren strengen Staat."

Doppeldeutiges Motto

Wohl wahr. "Welcome to fine country", steht auf T-Shirts, die wegen ihrer Doppeldeutigkeit auch unter deutschen Touristen der Renner sind. Denn wer "fine" mit "schön, gut, bestens" übersetzt, liegt nur teilweise richtig; die zweite Bedeutung des Wortes ist weniger schön - und lautet übersetzt "Geldstrafe". Weshalb das T-Shirt zu Recht als Markenzeichen der Vier-Millionen-Menschen-Metropole am südöstlichsten Zipfel des asiatischen Festlandes durchgeht. Singapur ist erstens eine aufgeräumte Stadt - die sauberste in Asien, vielleicht sogar weltweit. Aber wer sich zweitens nicht an die Regeln hält, wird bestraft und zur Kasse gebeten. Und zwar kräftig. Wagt es zum Beispiel jemand, so genannten "geringfügigen Abfall" wie Zigarettenkippen, Bustickets, Streichhölzer oder Bonbonpapier auf die Straße und nicht in einen der allgegenwärtigen Mülleimer zu werfen, drohen 1000 Singdollar (625 Euro) Strafe.

Nicht gefackelt wird auch bei größeren Vergehen: Coladosen, Papiertaschentücher, Plastiktüten, die nicht in der Tonne landen, sind den Autoritäten 2000 Singdollar (1251 Euro) wert. Mit der Geldstrafe allein ist es nicht getan; vielmehr kommt der Delinquent darüber hinaus in den zweifelhaften Genuss eines Umerziehungsprogramms. Zum Beispiel Geschäftsmann S. Singh, der nach einem Umweltvergehen seinen eleganten Zweireiher mit der schreiend gelben Weste eines Straßenkehrers vertauschen musste. Singh hatte es gewagt, ein Papiertaschentuch aus dem Autofenster zu schnippen. Angeklagt als "litter criminal" (Abfall-Krimineller), gestand er sogleich sein Vergehen, zückte das Scheckbuch und schlüpfte klaglos für zwanzig Stunden in die gelbe Weste der "CWO"Straßenkehrer.

Im abkürzungsverliebten Singapur weiß jedes Kind, was CWO heißt: "Corrective Work Order" - damit jeder Nachbar weiß, dass ein kriminelles Subjekt zu Besen und Kehrblech greift. In einer Kultur, in der Schamgefühl und "Gesicht wahren" einen hohen Stellenwert haben, ist das sicherlich der schmerzvollere Teil der Strafe. Einwände gegen das strenge Reglement sind in Singapur selten zu hören. "Papa Staat wird`s schon richten", sagen sich die meisten Singapurer - und verweisen zweifelnde Europäer gerne auf die Erfolgsbilanz des klimatisierten Wirtschafts-Wunderlandes, das sich binnen 30 Jahren von einem eher verschlafenen Tropennest zu einer gesättigten Volkswirtschaft entwickelte: mit all den Problemen und Vorzügen, die moderne Gesellschaften auch in Europa kennen.

Die Mehrheit der Bevölkerung ist mit ihrem Staat und der Regierung zufrieden: Die Arbeitslosenzahlen halten sich trotz Wirtschaftsflaute in erträglichem Maß, es gibt einen zufriedenen Mittelstand, ein akzeptables soziales Netz und sozialen Wohnungsbau. Über dem Alltag lacht die tropische Sonne, die Müllabfuhr kommt täglich, die Kriminalitätsrate ist niedrig, das subjektive Sicherheitsgefühl viel größer als in Berlin, Essen, Flensburg oder Füssen; die Metro ist klinisch sauber; es gibt keine zerkratzten Fenster, keine Graffiti. Ob Singapur das alles seinen drakonischen Strafen verdankt, mag dahingestellt sein. Schläge mit dem Rohrstock sind an der Tagesordnung; und statistisch gesehen wurde in den vergangenen zehn Jahren alle zehn Tage ein Todesurteil am Galgen vollstreckt.

Donnerstag fällt Vorentscheidung

Für Julia Bohl muss es nicht so weit kommen. Seit in ihrem Urin das Narkosemittel Ketamin nachgewiesen wurde, gilt sie dem Gericht auch als Verbraucherin, nicht nur als Verkäuferin von Drogen. Andererseits: Auch Rauschgiftsüchtigen drohen in Singapur empfindliche Haftstrafen. Nun wird das bei ihr und ihrem Freund Ben sichergestellte Rauschgift auf seinen Reinheitsgehalt untersucht. Bei über 500 Gramm reinem Cannabis ist in Singapur die Todesstrafe vorgeschrieben. Am Donnerstag entscheiden die Daten der Laboruntersuchung, ob Julias Fall beim Bezirksgericht oder vor dem High Court verhandelt wird. Vor dem Bezirksgericht entginge Julia ihrer Hinrichtung. Im anderen Fall ginge es um Leben und Tod - und Julia hätte dann wohl nur noch zwei Möglichkeiten, dem Henker zu entgehen: wenn der Fund auf sie und ihren Freund "verteilt" würde oder durch diplomatischen Druck aus Deutschland. Allerdings hat Singapur bisher nie Zweifel daran aufkommen lassen, dass es sich Einmischungen in sein Rechtssystem konsequent verbietet.

Katja Wallrafen

(RPO Archiv)
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