Gottesdienst unter starkem Polizeischutz Sebnitz trauert um Joseph

Sebnitz/Dresden (AP). Unschlüssig stand Renate Kantelberg-Abdulla am Eingang der vollbesetzten evangelischen Kirche in Sebnitz. Fest drückte sie die Hand ihrer 15 Jahre alten Tochter Diana, dann gingen beide nach vorne zum Alter, vorbei an Hunderten von Gläubigen, die sich am Sonntagnachmittag zu einem Fürbittegottesdienst für ihren möglicherweise einem rassistisch motivierten Gewaltverbrechen zum Opfer gefallenen Sohn Joseph versammelt hatten. Die Mutter begrüßte Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) und dessen Frau Ingrid sowie Landesbischof Volker Kreß und verließ anschließend wieder das Gotteshaus.

In der Kirche sagte der Superintendent von Pirna, Klaus Kaden: "Wir bitten Gott um Hilfe für diese Stadt, die so furchtbar in die Schlagzeilen geraten ist." Es gehe um den Tod eines Kindes, was grausam genug sei. Die Würde des Menschen sei unantastbar. "Wir bitten um Gerechtigkeit und den Sieg der Wahrheit." Der Gottesdienst fand unter starkem Polizeischutz statt. Beamte der Bereitschaftspolizei waren auf dem nahe gelegenen Marktplatz ebenso zu sehen wie unmittelbar vor der Kirche.

Kaden sprach einen Vorfall an, der sich vor drei Jahren im Freibad von Sebnitz ereignet hatte. Am 13. Juni 1997 soll der sechs Jahre alte Joseph, Sohn des 48 Jahre alten gebürtigen Irakers Saad Abdulla und seiner Frau, zuerst mit einem Elektroschocker gefoltert und dann im Schwimmbecken ertränkt worden sein. Nach Bekanntwerden der Tat durch einen Zeitungsbericht in der vergangenen Woche steht die Stadt unter Schock und ist international in die Negativschlagzeilen geraten. Dutzende von Medienvertreter sind seitdem in Sebnitz und versuchen die Wahrheit herauszufinden.

Dies gestaltet sich als schwierig, denn von offizieller Seite kommt immer nur der monotone Hinweis, dass seit Sommer dieses Jahres geprüft werde. Dass es Spannungen zwischen Teilen der Bevölkerung und der Familie Abdulla gebe, bestätigte Biedenkopf. Saad Abdulla, der mit seiner Frau und seinen Kindern Ende 1995 von Westdeutschland nach Sebnitz kam und am Ort die dritte Apotheke in der Stadt eröffnete, nennt ganz konkrete Gründe. Er habe von Anfang an gegen Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung von Rezepten zwischen den alteingesessenen Apothekern und den niedergelassenen Ärzten protestiert. Das habe er nicht mitgemacht.

Die Beweise inklusive Briefumschlägen mit Geld, die ihm zugeschickt worden seien und mit denen er zum Mitmachen animiert werden sollte, habe er auch Biedenkopf gezeigt, als dieser sein Haus besucht hatte, sagte Abdulla. Der Ministerpräsident habe versprochen, Spezialisten vorbeizuschicken. Ob sich aus dem Konflikt allerdings im Zusammenhang mit dem Tode von Joseph ein Mordkomplott der heimischen Konkurrenz ableiten lässt, wie es die Familie Abdulla vermutet, ist fraglich.

These vom Mordkomplott wird nicht erhärtet

Diese These wird auch durch das Gutachten des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e.V. nicht erhärtet, wohl aber eine Tendenz zur Fremdenfeindlichkeit. Joseph soll vor seiner Ermordung - von diesem Verdacht geht die Staatsanwaltschaft in Dresden aus - als "Ausländerschwein" beschimpft worden sein, so die vorliegenden Zeugenaussagen. Die Ausländerfeindlichkeit ist in Sebnitz auch anderswo erkennbar. "Hätte die blöde Kuh besser aufgepasst, dann wäre der Junge nicht ersoffen", schimpft ein Bäckermeister. Gemeint war die Mutter von Joseph, Renate Kantelberg-Abdulla. Und ein Bauarbeiter auf dem Marktplatz sagt hinter vorgehaltener Hand: "Ich hab für Ausländer nichts übrig."

In Dresden warf der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Thomas Jurk, den Justizbehörden gar Nachlässigkeit bei ihren Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Tod Josephs vor, was Biedenkopf zu der erregten Aussage veranlasste: "Ich würde dem Kollegen Jurk raten, sich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen." Der neue Justizminister Manfred Kolbe sei erst dabei, die Aktenlage zu prüfen. Die PDS-Fraktion will durch einen Berichtsantrag erreichen, dass die Staatsregierung Rede und Antwort steht.

(RPO Archiv)
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