Reue, Buße, Vergebung Was uns Ostern lehren kann

Meinung | Düsseldorf · Ob öffentlich oder privat: Zunächst wird meist, wenn es Konflikte gibt, nach den Schuldigen gesucht. Dabei kommt der schwierigste Teil der Aufarbeitung erst danach. Österliche Gedanken über Reue, Buße und Vergebung.

Schon Luther beschäftigte die Reue, an der Wittenberger Schlosskirche wird an seine Thesen erinnert, die er dort 1517 angeschlagen haben soll.

Schon Luther beschäftigte die Reue, an der Wittenberger Schlosskirche wird an seine Thesen erinnert, die er dort 1517 angeschlagen haben soll.

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Kaum ein Wort geht so leicht über die Lippen und ist doch so selten ernst gemeint: Sorry! Die Bitte um Entschuldigung ist zum Ritual verkommen, das in der Politik alles andere als Einsicht signalisiert, das in der Kirche zum inszenierten Selbstzweck wird, das in Fernseh-Shows zur Bloßstellung allzu menschlicher Schwächen führt und Voyeurismus fördert. Dabei bietet diese Zeit der Krisen so viel Anlass, Verantwortlichkeiten zu klären und Verantwortung zu übernehmen – nicht allein als Schuldanerkenntnis, vielmehr als tätige Buße. Und das macht den Unterschied aus zwischen Vergebung und Vergeltung, zwischen Reue und Rache. Erst wenn das „Verzeih mir“ von Herzen kommt, kann daraus Gutes erwachsen.

Gern verwenden Strafverteidiger die Floskel, der Täter habe versucht, sein Handeln und dessen Folgen wiedergutzumachen. Damit wird guter Wille unterstrichen, um ein milderes Urteil zu erreichen. Doch wie schwer, gar unmöglich Wiedergutmachung ist, zeigt sich am schrecklichsten Verbrechen der Menschheit: dem Holocaust. Deutsche Hilfe für Israel kann keinesfalls heilen, was den Millionen in den Konzentrationslagern angetan wurde. Dennoch war der von Konrad Adenauer gewählte Begriff der Wiedergutmachung zu seiner Zeit richtig, weil damit ein erstes Schuldanerkenntnis verbunden war.

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Das Motiv, sich von Schuld freizukaufen, wurde von der katholischen Kirche über die Jahrhunderte genutzt, um den Büßern durch (moralischen) Druck Geld abzupressen. Der Ablass, der bezahlte Erlass zeitlicher Sündenstrafen, war ein gutes Geschäft für den Klerus. Das aber widerspricht dem Grundsatz der Vergebung, die bei wahrer Reue den Bußfertigen in der Beichte gewährt wird. Nur wer sich selbst und seine Sünden offenbart und bereit ist, dafür einzustehen, kann Gnade erfahren. Das ist im täglichen Leben nicht anders und setzt mehr voraus als den reflexartigen Ausruf „Tut mir leid“. Wer zu oft um Entschuldigung bittet, ohne etwas an seinem Verhalten zu ändern, wird unglaubwürdig. Das stört jede Beziehung, ob in der Familie, im Verein oder am Arbeitsplatz.

Selbst die durch göttlichen Auftrag zur Vergebung Erkorenen haben damit ihre Probleme. Der Papst schickt den missliebigen Sekretär seines Vorgängers, Georg Gänswein, zwar nicht in die Wüste, wohl aber nach Costa Rica. Konservative Vertreter wie der umstrittene Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki dürfen im Amt bleiben, Liberale wie Franz-Josef Bode werden bereitwillig entlassen. In der deutschen Kirche wie im Vatikan fällt es den Entscheidungsträgern unendlich schwer, die Position des Sünders einzunehmen, stand doch ihre Institution stets über den Dingen. Jetzt muss die Kurie über sich selbst richten.

Letztlich ist verbindliches, auf Vertrauen und Wertschätzung gründendes Miteinander Voraussetzung jeglichen Erfolgs – auch und gerade in der Politik. Vor dieser Hürde des Einanderverstehens steht nicht zuletzt das Bundeskabinett, das sich in letzter Zeit vor allem durch personalisierte Zwistigkeiten ausgezeichnet hat. Was Christian Lindner und Robert Habeck einander zu verzeihen haben, füllt seit Wochen Zeitungsseiten. Selten gibt jemand Fehler zu. Vergebung predigt da nur einer – der Kanzler, indem er von Einheit und Einsicht schwärmt. Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat im Karneval den langen Friedrich Merz zum Zwerg degradiert und damit Rufe nach Vergeltung provoziert. Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht scheint auf baldiges Vergessen ihrer Pannen zu setzen, wenn sie beim Abschiedszapfenstreich spielen lässt: „Niemals geht man so ganz“.

Die Wechselwirkung von Krieg und Frieden, durch den russischen Überfall auf die Ukraine ins Bewusstsein gerückt, kennt in ihrer Gewaltrhetorik nur Sieger und Verlierer. Da ist der Wunsch nach Vergeltung größer als die Bereitschaft zur Vergebung. Die hart Getroffenen, die im persönlichen Umfeld Menschenleben zu beklagen haben, werden in ihrem tiefen Schmerz kaum verstehen, was das Christentum verkündet: den Verzicht auf Rache.

Den Schuldigen zu vergeben, fällt schwer, braucht Zeit, setzt unendliche Einsicht voraus, wenn wie im Fall Luise das Liebste genommen wurde. Psychologen raten, zunächst mit sich selbst ins Reine zu kommen, „Unrecht zu verarbeiten, loszulassen und in den eigenen Lebenslauf zu integrieren“, so Mathias Allemand, Professor an der Universität Zürich. Wer den inneren Frieden findet, kann zur Vergebung kommen. Dabei erlangt der Vergebende die stärkste Entlastung für sich selbst. Vergebung wird damit zur Befreiung für alle Beteiligten – für Täter wie Opfer. Wer verzeiht, tritt aus der Opferrolle heraus.

Die Christen sprechen von Nächstenliebe und meinen damit, den anderen anzunehmen wie sich selbst. Das Neue Testament betont Güte und Gnade Gottes – wie sagt der sterbende Jesus: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an. Gott verzeiht. Aber nur den Büßern, die ihre Sünden bekennen und sie glaubhaft bereuen. Karfreitag dokumentiert Jesu absolute Opferbereitschaft. Am Ende aber steht im christlichen Selbstverständnis die Auferstehung als Zeichen der Befreiung und Hoffnung für alle. Daran erinnert die Osternacht.

Zwar glaubt von den jungen Menschen in Deutschland gerade noch ein Fünftel an die Kirchen und deren Heilsbotschaft. Und dennoch bleibt der österliche Hoffnungsschimmer, der auf Vergebung setzt und die Liebe zum Maßstab allen Handelns erhebt. Wem das zu religiös ist, der möge sich die „Offenbarung“ im Fernsehen zumuten: Bei so mancher Soap wird zusammengeführt, was angeblich zusammengehört. Aus Liebe? Eher selten. Wichtiger aber als die Inszenierung ist die Erkenntnis, dass Vergebung kein einseitiger Akt ist. Da braucht es mehr als (leere) Worte. Verzeihen gibt es nicht umsonst. Wie heißt es im Vaterunser: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“

Reue, Buße, Vergebung bleibt der große Dreiklang im Miteinander. Kinder haben dafür eine Kurzformel, die alles sagt und die große Wahrheit schlicht ausdrückt: Vertragen wir uns wieder!

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